Sueße Prophezeiung
Gesicht gelacht. Er war ein Haudegen von Schrot und Korn gewesen, ohne einen Funken von Mitgefühl. Als Kind hatte er sich vor ihm gefürchtet; als Mann hatte er versucht, ihn zu vergessen. Aber dieses Mädchen war ihm ausgeliefert gewesen.
Marcus erinnerte sich an das erste – und bis zum jetzigen Zeitpunkt einzige – Mal, als er Lady Avalon gesehen hatte. Er war zwölf gewesen und sie zwei. Ein niedliches, zweijähriges Kleinkind, das bereits das Gesicht eines Engels, kurze weißblonde Haare und ein glückliches Lächeln besessen hatte. Sein Vater hatte ihn mit nach Trayleigh genommen, um die Braut kennen zu lernen. Hanoch hatte sich persönlich von ihrer Erscheinung überzeugen wollen, denn er traute den Lobeshymnen nicht, die er gehört hatte.
Aber sie entsprach wohl seinen Erwartungen und die Übereinkunft, die bereits unverbindlich zwischen den alten Verbündeten und Verwandten, Hanoch und Geoffrey, bestanden hatte, wurde mit Trinksprüchen erneuert und unwiderruflich besiegelt. Sie hatten das kleine Mädchen für eine Weile auf Marcus’ Schoß gesetzt. Er war in einem schwierigen Alter gewesen und konnte damals mit ihrem unzusammenhängenden Gebrabbel, ihrem ständigen Gezappel nichts anfangen. Nach einem kurzen, unbehaglichen Moment hatte er sie dem Kindermädchen zurückgegeben, und man ließ weiter die Gläser klingen.
Das war alles, an was er sich im Zusammenhang mit Avalon erinnerte – das kleine Mädchen, das seine Braut werden sollte. Nur ein Baby, wenn auch ein fröhliches.
»Er schlug mich zu Boden und schrie mich an, bis ich wieder aufgestanden war.« Die junge Frau sprach mit leiser Stimme. Marcus musste seinen Kopf senken, um die Worte zu verstehen, die sie an ihre im Schoß verkrampften Hände richtete. »Er ging so lange auf mich los, bis ich nicht mehr kämpfen konnte, und dann sagte er mir, dass ich des Clans nicht würdig sei.«
»Interessant«, meinte Marcus. »Mit mir hat er das Gleiche getan.«
»Er war ein Monster«, erklärte sie.
Dem konnte Marcus nicht widersprechen. Als er dreizehn wurde, war dies der schönste Tag in seinem Leben, an dem er endlich zu Sir Trygve durfte, um in dessen Haushalt als Knappe zu leben. Er war seinem Vater entronnen. Doch die jüngere und viel unerfahrenere Avalon, die nicht wusste, wie man mit Hanoch umging, hatte seinen Platz eingenommen.
Trygves Kreuzzug wurde dann sein Lebensinhalt, und Marcus hatte keine Ahnung gehabt von den Ereignissen auf Trayleigh. Lady Avalon war nur einmal kurz in einem Brief aus der Heimat erwähnt worden, und auch darin erschien sie nicht namentlich. Der Brief war in Hanochs verschlüsseltem Stil abgefasst gewesen und sprach davon, dass der Erzeuger bei einem Überfall getötet worden sei, doch dass man sich des Mädchens angenommen hätte. Mit der Zeit vergaß er sogar dies. Es gab viele andere Dinge, über die er in Jerusalem und später Damaskus nachdenken musste.
Im Laufe all der Jahre, die er fort war, erreichten ihn nur fünf Briefe aus Schottland, und der fünfte enthielt die kurze Aufforderung zurückzukommen. Das war der zweitschönste Tag in seinem Leben gewesen, als er begriff, dass er endlich wieder nach Schottland konnte.
»Ich werde Euch nicht heiraten«, verkündete Avalon kurz angebunden und unterbrach damit seine Gedanken. »Ich werde mich Euch nicht beugen. Ihr mögt mich schlagen oder hungern lassen, aber ich werde es nicht tun.«
»Aber ich würde Euch nie schlagen«, stieß er entsetzt hervor.
Ihr Schweigen war voller Skepsis.
»Noch werde ich Euch hungern lassen, Mylady. So behandle ich Frauen nicht.«
Sie sagte immer noch nichts.
»Niemals«, wiederholte er. »Niemals käme ich auf so eine Idee.«
Er hob die Hand, die um ihre Taille geschlungen war, zögernd zu ihrem Gesicht und gab sich dem Wunsch, sie zu berühren, hin. Marcus streichelte ihre Wange und rieb mit seinem Daumen über deren weiche Rundung. Sie saß vollkommen reglos vor ihm, und er konnte ihre Reaktion nicht beurteilen. Seine eigene bestand aus einer Mischung von Staunen und Verwunderung über sich selbst. Auf keinen Fall durfte sie glauben, er sei der Barbarei seines Vaters fähig. Er musste sie davon überzeugen. Aber dieser Drang verschmolz mit etwas anderem, mit dem Verlangen nach ihr, das wieder in ihm aufstieg und pochte.
»Ich würde es nicht tun«, hauchte er in ihr Haar.
Er wollte seinen Kopf in ihrem Nacken vergraben und sie dort küssen. Es gefiel ihm nicht, sie wie eine Gefangene zu halten, sondern so, wie
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