Sueße Prophezeiung
ertönen.
»Ich kann nicht glauben, dass Ihr tatsächlich den Rest des Wegs bis Sauveur in diesem Zustand geritten seid«, knurrte er schließlich. In seiner Stimme lag ein eisiger Unterton, der mehr aussagte als seine zur Schau getragene Ruhe. Plötzlich erbebte in ihr eine Saite von Angst, die sie überraschte.
Sie starrte ihn an und wurde sich schaudernd der Tatsache bewusst, dass sie fast nackt mit einem Mann zusammen war, der sie geraubt hatte; jetzt wollte er sie gerade verführen – und war außer sich vor Wut. Herr im Himmel, was hatte sie sich bloß gedacht?
»Es tut nicht weh«, wisperte sie.
»Nein?« Er streckte die Hand aus, um die Prellung abzutasten, und ohne es zu wollen, zuckte sie zurück. Seine Hand hielt mitten in der Bewegung inne, ohne sie zu berühren. Seine Stimme klang nach wie vor eisig. »Es tut nicht weh? Ihr lügt, Avalon. Das werde ich nicht dulden.«
Das werde ich nicht dulden.
Hanochs Worte, unzählige Male hatte er sie zurechtgewiesen. Sei nicht respektlos, beschwer dich nicht, verkriech dich nicht, flenne nicht, schnief nicht rum. Das werde ich nicht dulden.
»Ach ja«, schnarrte sie und kam trotz der Schmerzen strampelnd auf die Beine. »Ihr habt kein Recht, mir Vorschriften zu machen! Es ist mir egal, wer Ihr seid! Ihr besitzt mich nicht!«
Marcus unternahm keine Anstalten, nach ihr zu greifen. Keuchend balancierte sie auf dem zerwühlten Bett und klammerte sich an die Decke. Ihr Haar hatte sich gelöst und hüllte sie von allen Seiten ein. Nun stand sie auf und fasste sich mit einer Hand an die Seite, als ob sie den stechenden Schmerz zurückhalten müsse.
»Nein, ich besitze Euch nicht«, stimmte er ihr zu. Sein Blick ruhte auf ihrer Hand und wanderte dann zu ihrem Antlitz. »Noch nicht, Avalon. Aber bald ...«
Er verließ den Raum. Sie hörte, wie der Riegel vorgeschoben wurde. Genau genommen war sie eine Gefangene.
Nach fünfzehn Minuten erschienen die gleichen Frauen wie zuvor. Diesmal waren sie mit einem Haufen Bandagen und einer Salbe beladen, die sie ihr unbedingt selbst auftragen wollten. Avalon hatte nicht die Kraft, sich ihnen zu widersetzen. Zum einen war sie müde. Immer noch so müde. Und zum anderen sorgten sich die Guten tatsächlich um sie. Mit einfühlsamen Händen schoben sie sie zum Bett und überredeten sie, sich hinzusetzen, gerieten über ihre Prellungen in Aufruhr und massierten die zähe Salbe ein.
Auch sie stammte vom Mauren, wie man Avalon mitteilte. Sie hätte bereits großartige Dienste bei anderen Angehörigen des Clans geleistet, versicherten sie ihr. Betsy sei von einem kranken Schaf getreten worden und genau diese Salbe hätte sie innerhalb von Tagen wieder geheilt! Ronald hätte sich bei einem Sturz im Tal den halben Schädel aufgeschlagen, und jetzt ginge es ihm besser denn je!
Und vergesst die Stute nicht, fügte eine der Frauen fröhlich hinzu. Die alte Mähre hätte tagelang unter Koliken gelitten, und nachdem der Maure die Salbe auf ihren Bauch gestrichen hatte, wäre sie wieder auf die Weide getrabt.
»Ah ja, also die Stute«, sagte Avalon und tat alles, um bei ihren Berührungen stillzuhalten. »Ich bin sicher, dass es eine ganz wunderbare Salbe ist.«
»Ja«, riefen die Frauen im Chor, froh, dass sie verstanden hatte.
Durch die Bandagen würde das schwarze Kleid zu eng sitzen, und die Hälfte der Jungfern rannte davon, um nach etwas Passenderem für die Braut zu suchen. Die übrigen drei packten ihren Tiegel mit Salbe und den Rest des Verbandsmaterials zusammen.
Marcus hatte die Miniatur der Gemahlin des Lairds zurückgelassen – wahrscheinlich in seiner Wut vergessen, nahm Avalon an und unterdrückte ihren Kummer. Sie legte die Miniatur auf ihre Handfläche und betrachtete das gemalte Antlitz, das ihr eigenes war.
Eine der Frauen wurde aufmerksam, trat an ihre Seite und zog den unvermeidlichen Vergleich.
»Ein Wunder«, hauchte sie, während sie das Porträt der Lady betrachtete.
Feierlich traten die beiden anderen näher.
»Unser Wunder«, sprach die Zweite.
»Unsere Braut«, schloss die Dritte.
»Bitte«, hub Avalon an. Zweifellos erwarteten sie nun von ihr besondere Perlen der Weisheit. Sie holte tief Luft, um ihnen ihre Fantasievorstellungen auszutreiben, aber nicht ihre zarten Hoffnungen zu zerstören.
»Sie war nur eine Vorfahrin von mir«, erklärte sie schließlich. Es stellte einen jämmerlichen Versuch dar, den Kämpfen, die in ihr tobten, nachzugeben.
Die Frau mit dem Verbandsmaterial nahm die Miniatur
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