Sueße Prophezeiung
Tage vergingen, in denen die Burg und die Ländereien in einen Nebelschleier getaucht waren. Avalon verlegte ihr Training nach drinnen. Sie hatte viele Helfer, die die Bänke und Tische in der großen Halle beiseite schoben, um so Platz für ihre Schüler zu schaffen. Zusätzlich zu den Kindern hatten sich jetzt noch sechs Männer und zwei Frauen gesellt, von denen eine Ellen war, die bei ihr Unterricht nahmen. Andere versammelten sich stets in der Nähe, um zuzuschauen, während sie untereinander kommentierten, was sie sahen, und sogar einigen Jugendlichen applaudierten, wenn denen ein schwieriger Griff gelang.
Auf irgendeine unbeschreibliche Weise war es schön zu sehen, wie ihre Schüler in dem, was sie ihnen beibrachte, immer besser wurden – zu sehen, dass sie im Spaß lernten, was sie zu ihrer Selbsterhaltung hatte lernen müssen.
Marcus nahm nach wie vor teil, als stiller Beobachter und machte keine Anstalten, aktiv dabei zu sein. Aber sie bemerkte, dass er sich einprägte, was er sah. Avalon versuchte, sich davon nicht nervös machen zu lassen. Nur mit diesem nachdenklichen Blick starrte er sie dauernd an, während seine Haltung allerdings ein wenig Herausforderung erkennen ließ.
Wie schwer sie auch arbeitete, wie sehr sie auch versuchte, sich abzulenken – was sich in jener Nacht zugetragen hatte, als er in ihr Zimmer gekommen war, wollte ihr nicht aus dem Sinn. Diese deutliche, unverhüllte Botschaft seines Willens – eher Befehl denn flehentliche Bitte –, dieses überwältigende Verlangen, das er ihr vermittelt hatte, ließ sich nicht verdrängen. Sie hatte gespürt, wie ihre Beine unter dieser Wucht bebten. Ihr eigenes Verlangen nach ihm war wie eine Flutwelle durch ihren Körper geschossen, obwohl sie es gar nicht wollte. Er musste es gemerkt haben.
Sein eindringlicher Blick verfolgte sie überallhin. Sie könnte schwören, dass er sie sogar im Auge behielt, wenn er nicht im gleichen Raum war. Das hatte nichts mit Spiel zu tun. Er meinte es todernst.
Innerhalb von zwei Tagen hatte er sie noch zweimal gebeten – gebeten –, seine Frau zu werden. Bei diesen Malen hatte er schlichte Worte benutzt und ihr nicht seine Gedanken aufgedrängt. Aber sie blieb bei ihrem Nein, und allmählich wurde er kühler und feindseliger.
Es tat ihr Leid, ihn zu verletzen; doch schlimmer war, dass es in einem versteckten Winkel ihres Herzens so etwas gab wie Furcht.
Sie wollte es leugnen, wollte glauben, dass sie keine Angst hatte – doch das war töricht. Instinktiv wusste sie, dass sie keine Angst vor ihm, sondern eher um ihn hatte.
Ihre Zurückweisungen wirkten sich schrecklich auf ihn aus. Es waren kleine Dinge, die vielleicht nur die Chimäre bemerkte. Eine gewisse Anspannung hatte ihn erfasst. Die Schlange versuchte, aufzuwachen und sich einen Weg durch den Mann zu graben, um die Herrschaft zu übernehmen und die Dinge auf ihre eigene Weise handzuhaben.
Hoffentlich war die Schlange schwächer als Marcus. Doch wenn sie ihn anschaute, seine Kühle sah, wuchs die Angst weiter. Ihr Verhalten machte ihn unglücklich. Bisher hatte er zugelassen, dass sie ihn ablehnte. Doch wenn nun das nächste Mal das letzte Mal war und die Schlange ihm einflüsterte, dass man sie überwältigen und seinem Willen beugen musste? Was dann? Trotz allem war und blieb er seines Vaters Sohn.
Avalon wollte nicht daran denken. Aber der Laird hielt Wache bei ihrem Training, ein stummer Beobachter jeder ihrer Bewegungen. Und sie konnte nicht anders, als zu überlegen, was der nächste Augenblick bringen mochte. Vorahnungen hinsichtlich der Zukunft erfüllten sie.
Ein Teil von ihr fragte sich, warum sie überhaupt noch hier war. Trotz allem hatte sie genug für die Kincardines getan. Sie hatte sie mit einer Zukunft in Wohlstand ausgestattet und brauchte nicht mehr länger zu verweilen. Das Kampftraining, das sie jetzt unterrichtete, ließ sich bis in alle Ewigkeit ausdehnen, wenn sie es wollte. Aber es war sicherlich kein ausreichender Grund, sich auf Sauveur zu vergraben.
Und Ellen machte sich gut als Verwalterin. Bald würde sie den Besitz ohne Avalons Hilfe leiten können, vielleicht sogar schon in einem Monat. Dann würde es Avalon völlig frei stehen zu gehen, weil sie dann all ihre Verpflichtungen erfüllt hatte. Sie könnte den Mann und die Schlange hinter sich lassen, damit diese untereinander ihren Kampf um sein Leben austrügen.
Aber egal, wie häufig sie plante zu gehen, immer wieder drängte sich ein Gesicht in ihre
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