Sueße Prophezeiung
keine Lust, in ihr Zimmer zurückzugehen, das mit jedem Mal, wenn sie es betrat, kleiner zu werden schien. Es war ihr nicht gelungen, nach dem wundervollen Angelausflug ein kleines Nickerchen zu machen. Sie hatte sich auf ihrem Bett hin und her geworfen und versucht, Klarheit in ihre Gedanken zu bringen.
Marcus, dessen Silhouette sich gegen das Purpur und Gold des Waldes abzeichnete.
Marcus, der sie anlächelte, als er ihr das Obsttörtchen reichte.
Marcus, der ihr gratulierte, als sie ihre erste Forelle einholte.
Marcus ...
Beim Abendessen schien er wieder in die Ferne gerückt zu sein, trotz der Tatsache, dass sie die Forellen aßen, die sie und Marcus heute Morgen in Heiterkeit und Gelächter gefangen hatten. Er war jetzt wieder ganz der Laird – diese abrupten Stimmungswechsel brachten sie immer noch aus der Fassung und waren jedes Mal unerwartet. Er unterhielt sich mit seinen Leuten und führte ein freundliches Gespräch mit Ellen über ihre neue Aufgabe als Verwalterin. Avalon wusste, dass er Männer zu den MacFarlands geschickt hatte. Das beschäftigte ihn auch. Aber er hatte während des Essens kaum einmal zu ihr hinübergeblickt.
Sauveur war wirklich eine prächtige Burg, dachte sie, als sie nun ihren Streifzug fortsetzte. Die grauen und schwarzen Steine schufen eine ehrwürdige und mächtige Atmosphäre. Ein passender Wohnsitz für den Anführer der Kincardines! Es waren bereits Reparaturen im Gange, die mit Hilfe ihres Vermögens durchgeführt wurden. Man ging mit besonderer Eile zu Werke, um dem drohenden Wintereinbruch zuvorzukommen. Gestern hatten einige Männer in Schichten auf dem Dach der Stallungen gearbeitet. Es wurde geflickt und verstärkt, um den Lasten des zu erwartenden Schnees standzuhalten.
Das Bewusstsein, dass das Erbe ihrer Mutter dies möglich machte, freute sie. Mit nur ein paar Münzen hatte man Material eingekauft. Es gab noch so viel mehr zu tun, und jetzt waren auch die Mittel vorhanden, um es in Angriff zu nehmen.
Die Wachtposten grüßten sie, als sie vorbeiging, und sie erwiderte ihren Gruß, wobei sie jeden beim Namen nannte. Sie freute sich über ihr gutes Gedächtnis.
Avalon liebte diese Plattform ganz oben auf Sauveur, wo man über die Bäume hinwegblicken konnte und meinte, den Himmel zu berühren. Von hier aus schaute man meilenweit ins Land. Es gab einem das Gefühl von Freiheit, obwohl dieses Gefühl trog.
Über ihr hatte anscheinend ein verspätetes Lerchenpaar für seine Kinder ein Nest in einem Winkel des Steinturms gebaut. Sie hörte sie die ganze Zeit leise singen, als sie sich näherte.
Aber als sie um die Ecke trat, entdeckte sie den Zauberer, der den Lerchen leise etwas vorsang, die ihm zuhörten, während sie auf den Mann in den weiten Gewändern hinunterspitzten.
Er sah sie und stieß einen kurzen Pfiff aus. Es war genau der gleiche Lerchenruf, den sie in ihres Vaters Garten in jener schicksalhaften Nacht gehört hatte, die jahrelang zurückzuliegen schien,
Sie blieb stehen und starrte ihn an. Er wiederholte den Pfiff und verbeugte sich dann vor ihr.
»Ihr seid ein Zauberer«, rutschte es ihr spontan heraus.
Balthazar lächelte. »Ich glaube nicht, Mylady!«
Avalon kam näher, während sie die Arme um sich schlang, um sich vor dem Wind zu schützen, der allmählich kälter wurde. Vielleicht war es jener Hauch von Freiheit, den sie spürte angesichts der Unendlichkeit des Himmels. Oder der wohltuende Schleier der Dunkelheit gab ihr ein Gefühl von Sicherheit. Ein dunkler Schleier, der ihr Anderssein verbarg. Aus welchem Grund auch immer sprach Avalon plötzlich ohne ihr Zutun weiter. »Aber letzte Nacht habt Ihr mir im Studiersaal geraten, ich solle dem Traum lauschen.«
»Ja. Und habt Ihr es getan?«
»Ihr müsst wissen, was dann geschah.«
»Ich bin nur Euer untertänigster Diener, Mylady, und weiß nichts.«
»O ja, ein untertäniger Diener, gewiss«, erwiderte sie spöttisch. »Das funktioniert vielleicht bei jenen, die nicht unter die Oberfläche schauen können – aber nicht bei mir.«
»Wirklich?«
Avalon zögerte und erkannte, dass sie sich selbst eine Falle gestellt hatte. »Ihr seid kein einfacher Diener«, schloss sie lahm.
Balthazar wandte sich von ihr ab und schaute wieder zu den Lerchen empor. »Es gibt wenige, die so viel wahrnehmen wie Ihr, Mylady. Und doch verschmäht Ihr Eure Gabe. Ihr misstraut ihr. Das ist sehr verwirrend.«
»Ich sehe nur das, was vor mir steht«, sagte sie. Doch auf einmal empfand sie Angst, obwohl
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