Sueße Prophezeiung
darin. »Morgen wird der Tag sein. Ich habe keine Zeit mehr für Artigkeiten. Wir haben lang genug gewartet. Morgen wird der Fluch enden!«
Eindeutig meinte er es ernst. Das war nicht nur die Schlange, die ihn diese Worte sprechen ließ. Dies war die Überzeugung eines Mannes, der ihr sagte, dass sie seine Frau sei. Marcus brauchte und wollte sie.
Mit beunruhigender Klarheit erinnerte sie sich daran, dass er gesagt hatte, die Gesandten müssten ihn töten, um sie ihm wegzunehmen. Damals hielt sie die Schlange für die Sprecherin dieser Worte. Doch nein. Es war immer der Mann selbst gewesen, der Laird, der sie aufgrund der Legende, aufgrund von Leidenschaft oder welchen Besitzvorstellungen auch immer für sich in Anspruch nahm. Die Schlange bestärkte ihn jetzt nur.
Ohne Vorwarnung nahm Marcus sie in die Arme und zog sie an sich, um sie zärtlich zu umfangen. Er vergrub sein Gesicht in ihrem Haar und die Art, wie er sie hielt, veränderte sich, wurde drängender.
»Wollt Ihr mich denn nicht heiraten?«, raunte er und begann, Küsse auf ihre Schläfe und ihre Wange zu hauchen. Als sie ihren Kopf abwandte, folgten seine Lippen ihr und fanden ihren Mund, um ihr in einer fast groben Geste der Macht seinen Anspruch auf sie deutlich zu machen.
Avalon konnte ihn nicht aufhalten. Sie wollte es nicht einmal; doch er riss sich von ihr los und sein keuchender Atem strich über ihren Nacken, während seine Arme sie immer noch fest umschlangen.
»Avalon«, sagte er, und es klang wie ein Flehen. »Bitte!«
Und wieder sprach Hanoch, dessen Worte sie wie den Todesstoß eines Schwertes empfand.
Du wirst meinen Sohn heiraten. Was immer du auch wünschen oder denken magst, ist nichts im Vergleich dazu ...
Die Chimäre grinste und versenkte ihre Klauen in ihren Geist. Sie gab Avalon ihre eigene Erwiderung, ihr Gelöbnis zurück:
Ich werde ihn nie heiraten! Das schwöre ich hier und jetzt ...
Hanoch durfte nicht noch mal gewinnen. Er hatte ihr schon zu viel genommen. Dieser Forderung konnte sie sich nicht beugen.
Sie hielt sich an Marcus fest, als sie sich zurücklehnte und ihm in die Augen schaute.
»Ich kann Euch nicht heiraten!«
Seine Lider schlossen sich. Sie spürte seinen Schmerz wie ihren eigenen. Verstärkt wurde er noch durch die Tatsache, dass sie der Anlass war.
»Es tut mir Leid. Es tut mir so Leid«, sagte sie voller Pein. »Bitte, versteht doch. Ich kann nicht.«
Zwischen zusammengebissenen Zähnen holte er tief Atem. Sie sah, wie er sich mühsam zusammenriss. Er schob sie sanft von sich, und seine Hände lagen jetzt leicht auf ihren Schultern.
»Nun denn«, meinte er. »Mir tut es auch Leid, dass es so laufen muss.«
»Wie muss es laufen?«, fragte sie, und endlich gab die Chimäre in ihrem Kopf Ruhe.
»Bitte, geht in Euer Zimmer zurück, Avalon.«
»Warum?«
»Ich möchte, dass Ihr bis morgen dort bleibt. Nachdem wir geheiratet haben, könnt Ihr Euch wieder überall frei bewegen.«
Die Chimäre heulte auf und schrie: Lauf weg, versteck dich, lass dich von ihnen nicht einfangen! Machtvoll drangen die Worte durch ihren ganzen Körper und ließen ihre Hände zittern, sodass sie sie zu Fäusten ballte, um es zu verbergen.
»Ihr könnt mir nicht vorschreiben, was ich zu tun oder zu lassen habe«, stieß sie hervor und kämpfte den Anflug von Panik nieder, der in ihr aufstieg.
»Kommt mit«, wiederholte er so dunkel und bedeutungsschwer, wie die Nacht herabsank.
Sie blickte nach beiden Seiten. Der anziehende Raum war jetzt viel zu klein und beengend, mit den geschlossenen Fenstern. Viele Menschen warteten hinter der einzigen Tür.
Ihr Herz flatterte wie ein eingesperrter Vogel. Ihre bebenden Finger bewegten sich nach oben und klammerten sich um ihre Brust, ihren Hals. Sie wusste, dass die überwältigende Furcht, die sie erfasste, unvernünftig war; doch hielt sie sie in ihrem erbarmungslosen Würgegriff.
»Avalon.«
Er wartete auf sie. Das konnte sie sehen. Er wartete darauf, dass sie mit ihm diese Örtlichkeit verließ, um sich freiwillig in ihrem Gemach einsperren zu lassen. Dort würde sie dann sitzen und darauf warten, dass das Schicksal sie gänzlich verschlang. Es war genau wie der Besenschrank, in dem sie als Kind gesessen hatte. Jener enge, bedrückende Raum, der vollkommen dunkel, Furcht einflößend und mit wispernden Ungeheuern gefüllt gewesen war. Gierige Dämonen, die sie auslachten, während sie zusammengerollt in einer Ecke lag und die Kobolde herbeischossen, um sie zu holen
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