Süße Rache: Roman (German Edition)
kurzen Schmatz auf ihre Wange. »Du bist eine gute Frau, Andie. Falls du es je schaffen solltest, hierher zurückzukommen, wartet ein Job auf dich.«
Andie lächelte, schloss ihn impulsiv in die Arme und blinzelte dann die Tränen zurück. »Das werde ich nicht vergessen. Pass du auch auf dich auf.« Plötzlich hielt sie
inne, ihr Blick wurde unscharf, sie schien durch ihn hindurchzusehen. »Du musst deinen Heimweg ändern«, platzte es aus ihr heraus. »Bring die Einnahmen nicht immer zu dem Nachttresor, der auf der Strecke zu dir nach Hause liegt.«
»Ach, verflucht, wohin soll ich sie denn sonst bringen?«, fragte er gereizt. »Die Bank liegt direkt am Weg, und ich habe schließlich nicht ewig Zeit -«
»Nimm sie dir. Bring das Geld nächste Woche zu einer anderen Zweigstelle.«
Er klappte den Mund auf und presste die Lippen gleich darauf zu einer dünnen Linie zusammen. »Hast du wieder eine von diesen Visionen?«, fragte er misstrauisch.
»Ich habe keine Visionen«, widersprach sie genauso gereizt wie er. »Das ist nur vernünftig. Du gehst ein Risiko ein, wenn du jeden Abend zu derselben Zweigstelle fährst, das weißt du genau. Du solltest deine Entscheidungen besser bedenken, sonst wirst du noch erschossen.«
Eigentlich war ihr der Gedanke gekommen, dass ihm jemand eins überziehen und ihm eine Gehirnerschütterung zufügen könnte, aber erschossen zu werden klang wesentlich dramatischer und beängstigender, sodass er vielleicht eher auf sie hören würde. Er sah sie immer noch bockig an, darum murmelte sie: »Na dann lass dir eben auf die Rübe hauen«, und verließ das Büro, ehe sie in Tränen ausbrechen konnte. Sie konnte den sturen Bock wirklich gut leiden, und sie fand die Vorstellung, dass ihm etwas zustoßen könnte, schrecklich, aber letztendlich musste er das entscheiden, nicht sie.
Sie hatte selbst genug wichtige Entscheidungen zu fällen, dachte sie, während sie zu ihrem Explorer stapfte. Die anderen Bedienungen der Nachmittagsschicht gingen mit ihr zusammen, weshalb sie nicht allein und wahrscheinlich
so sicher war, wie sie überhaupt sein konnte. Sie konnte ihn nirgendwo entdecken, aber das hatte sie auch nicht erwartet. Er war verschwunden. So wie sie seine Anwesenheit spürte, spürte sie auch seine Abwesenheit. Er wusste nicht, dass sie ihn bemerkt hatte, der Kater hatte sich zum Schlummern zurückgezogen, weil er genau wusste, dass die Maus in ihrem Loch bleiben würde.
Sie fühlte sich eigenartig … gelassen, seit sie ihre Entscheidung gefällt hatte. Zuerst würde sie diese zwei Millionen unter die Menschen bringen, denn wenn sie umgebracht wurde, bevor sie das erledigt hatte, würden die zwei Millionen auf ihrem Konto verrotten und niemandem nützen. Das St. Jude’s Hospital konnte immer Geld brauchen, außerdem würde sie dadurch kranken Kindern helfen. Das war entschieden. Es war so leicht, dass sie sich fragte, warum sie das Problem so lange mit sich herumgetragen hatte.
Die zweite Entscheidung war, dass sie nicht in Frieden leben konnte, solange Rafael am Leben war. Er würde den Killer immer wieder auf ihre Fährte setzen, und gleichzeitig würde er weiterhin Drogen ins Land bringen, Leben zerstören, Menschen umbringen und dabei Kasse machen. Das konnte sie nicht länger zulassen.
Als sie mit ihm zusammengelebt hatte, hatte sie feige darauf geachtet, nie so tief zu bohren, dass sie auf unwiderlegbare Beweise stieß, die man gegen ihn anführen könnte, sie hatte gleichzeitig absichtlich alle Möglichkeiten ignoriert, mehr darüber in Erfahrung zu bringen, was er so trieb. Sie hatte nichts wissen wollen, infolgedessen hatte sie jetzt nichts in der Hand, um ihn vom FBI verhaften zu lassen. Außerdem war Rafael reich genug, um gegen das Justizsystem zu bestehen; selbst wenn er angeklagt wurde, konnte er die Verhandlung über Jahre verschleppen.
Doch sie kannte ihn, sie kannte die Brutalität, die er unter seinen Dreitausenddollaranzügen und dem Designerhaarschnitt versteckte. Sie kannte sein Ego und die Regeln, unter denen er lebte. Falls er sie irgendwo sehen sollte, falls er erfahren sollte, dass sie am Leben war und ihm auf der Nase herumtanzte, würde ihn das zum Wahnsinn treiben. Vielleicht würde er es in seinem Männlichkeitswahn nicht ertragen, sie am Leben zu lassen, und alle Vorsichtsmaßnahmen vergessen. Er würde alles versuchen, um sie zu töten.
Das FBI konnte sie vielleicht schützen. Sie hoffte es, doch sie akzeptierte gleichzeitig fatalistisch die
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