Süße Rache: Roman (German Edition)
besprühte sie dann mit einem Betäubungsspray. Das Spray betäubte nur oberflächlich, aber es dämpfte den Schmerz so weit, dass es ihn nicht störte, die Wunde zu vernähen. Er hatte sich schon Spreißel eingezogen, die schlimmer wehgetan hatten. Danach betupfte er die Naht mit einem Antibiotikum, verklebte sie mit Pflaster und packte das Set sorgfältig wieder zusammen, nicht ohne sich zu merken, was aufgefüllt werden musste. Das Set reiste immer mit ihm und hatte ihm möglicherweise schon ein paar Mal das Leben gerettet. In den Tropen konnte eine offene Wunde, so klein sie auch sein mochte, schnell lebensbedrohlich werden.
Dann warf er gähnend ein paar Ibuprofen ein und stieg aus den Kleidern. Er schaltete das Licht aus und legte sich aufs Bett. Sein Handy würde jede eingehende SMS anzeigen und ihn aufwecken, falls sie wirklich abhauen wollte, aber er war ziemlich sicher, dass sie heute Abend nirgendwohin fahren würde. Falls sie etwas geplant hatte,
würde sie wahrscheinlich versuchen ihn einzulullen, indem sie ein paar Tage hier blieb. Sie mochte abgefeimt sein, aber er war noch abgefeimter. Er schloss die Augen in dem Wissen, dass er zumindest vorerst alles unter Kontrolle hatte.
Andie schlief lange – keine große Überraschung – und stolperte erst um halb zwölf in die Küche, um einen Kaffee aufzusetzen. Sie hatte Kopfschmerzen, vielleicht die Folge einer Überdosis Adrenalin oder einer Unterdosis Koffein. Nachdem sie sonst immer um acht aufstand, damit sie Zeit hatte, um ihren Haushalt oder Erledigungen zu machen, bevor sie in die Arbeit fuhr, war ihre erste Tasse Kaffee drei Stunden überfällig.
Sie nahm zwei Aspirin und ging dann mit ihrem Kaffee ins Wohnzimmer. Dort schaltete sie den gebraucht gekauften Fernseher ein, kuschelte sich in eine Sofaecke und wollte bis auf Weiteres nichts anderes tun, als Kaffee trinken und abwarten, bis das Aspirin den Kopfschmerz besiegte. Sie sah einen Teil der Mittagsnachrichten, erfuhr dabei, dass am Nachmittag weitere Gewitter erwartet wurden, und nickte dann dem Kaffee zum Trotz wieder ein.
Ein zweifaches energisches Klopfen an der Haustür riss sie aus dem Schlaf. Vielleicht waren es die Nachbarn, dachte sie griesgrämig, die nach dem Krach gestern Abend verspätet nachfragen wollten, ob sie wohlauf war. Sie konnte es jedenfalls hören, wenn die beiden herumstampften, folglich hatten sie bestimmt gehört, wie sie den Stuhl umgeworfen hatte. Aber hatte einer von ihnen nachgesehen, ob ein Einbrecher im Haus oder ihr etwas zugestoßen war? Falls sie nebenan solchen Lärm gehört hätte, hätte sie zumindest an die Wand geklopft und sich erkundigt, ob alles in Ordnung war.
Bevor sie die Tür aufzog, stutzte sie, hob eine Lamelle der Jalousie an und wagte einen Blick nach draußen. Zu ihrem Verdruss starrte sie auf Simon, der groß und breit vor ihrer Tür stand. Sein Anblick traf sie wie ein Schlag, der die Luft mit einem hörbaren Pfeifen aus ihrer Lunge presste, fast als hätte sie aus dem Fenster geschaut und einen riesigen Wolf vor dem Haus stehen sehen. Sein Blick nahm ihren durch die Scheibe hindurch gefangen, dann hob er die Brauen, als fragte er: Und?
Bestürzt ließ sie die Lamelle fallen und blieb reglos hinter der Tür stehen, weil sie sich nicht entschließen konnte, ob sie ihm öffnen sollte. Sie hatte gehofft, dass er schon abgereist war. Was hatte er hier noch verloren? Was gab es noch zu sagen?
»Du kannst mich ruhig reinlassen«, erklärte er durch die Tür. »Ich werde nicht verschwinden.«
»Schade«, grummelte sie, drehte den Riegel zurück und zog die Tür auf. Die Ahnung eines Lächelns zuckte um seine Mundwinkel, als er eintrat. »Was ist?«, knurrte sie und strich sich das schlafzerzauste Haar aus dem Gesicht. Sie hatte es noch nicht gebürstet, aber das war ihr egal.
»Ich wollte fragen, ob du mit mir Mittagessen gehst. Wohl eher nicht«, schloss er leicht amüsiert.
Andie kehrte gähnend zu ihrem Sofa zurück, zog die Beine an und bohrte die nackten Füße zwischen die Polster. Sie trug immer noch ihre Pyjamahose und ein T-Shirt, und nein, sie würde nicht mit ihm essen gehen, weder jetzt noch irgendwann. »Wohl eher nicht«, wiederholte sie und sah ihn finster an. »Ich habe noch nicht mal gefrühstückt. Trotzdem vielen Dank. Was willst du?«
Er zog eine Schulter hoch. »Mit dir essen gehen. Nichts weiter.«
Als würde sie ihm das eine Sekunde lang glauben. »Natürlich.
Wahrscheinlich hast du selbst beim Atmen
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