Süße Rache: Roman (German Edition)
würde sie womöglich ein paar Tage lang aus der Ferne beschatten. Also würde sie hierbleiben und höchstens ein paar Vorbereitungen treffen, um kein Misstrauen zu erregen, bis er schließlich das Gefühl hatte, abziehen zu können. Sie konnte unmöglich voraussehen, wann das wäre, aber er war trotz allem ein Mensch; vielleicht härter und schlauer als die meisten, aber nichtsdestotrotz ein Mensch, der wie alle anderen essen und schlafen und pinkeln musste. Gelegentlich musste
er sie unbeobachtet lassen. Mit etwas Glück konnte sie sogar während der nächsten Tage in ein Flugzeug steigen und unterwegs sein, ehe er merkte, dass sie nicht mehr da war.
Er könnte sie wieder aufspüren; bis jetzt hatte er jeden ihrer Schritte nachvollzogen, hatte er all ihre Versuche durchschaut, ihr Aussehen und ihre Identität zu verändern. Sie machte sich keine Hoffnungen, dass er plötzlich von Dummheit geschlagen sein könnte und sie sich genauso plötzlich als versierte Verwandlungskünstlerin erwies, aber sie brauchte nur ein paar Tage Vorsprung, vielleicht nicht einmal die, und sie wäre wieder in New York.
Dort würde sie mit dem FBI Verbindung aufnehmen. Mit Sicherheit wurde Rafael praktisch rund um die Uhr überwacht, und bestimmt waren die Feds frustriert, weil sie trotzdem nichts Brauchbares gegen ihn in der Hand hatten. Bestimmt würde der leitende Agent jede Gelegenheit, sie einzusetzen, mit beiden Händen ergreifen.
Wenn das FBI erst seine schützende Hand über sie hielt, konnte ihr Simon nichts mehr anhaben.
28
Sobald Simon wieder im Hotel war, fuhr er den Laptop hoch und überprüfte ihren Standort, um sich zu überzeugen, dass sie seine Beteuerungen, sie sei außer Gefahr, geglaubt hatte und nicht schon losgefahren war, um, wie sie meinte, ihr Leben zu retten. Gut – der Explorer und ihr Handy waren an Ort und Stelle und veränderten ihre Position
nicht, also lag sie wahrscheinlich im Bett. Für den Fall, dass sie trotzdem von der Bildfläche verschwinden wollte, stellte er das Programm so ein, dass er eine SMS auf sein Handy bekam, sobald einer der Sender sich bewegte.
Er wäre gern bei ihr geblieben, doch als er sie geküsst hatte, hatte er eine gewisse Zurückhaltung gespürt, die ihm verriet, dass sie sich nicht noch einmal mit ihm einlassen würde, wenigstens nicht so bald. Er wartete nur ungern, doch er würde es tun – wenigstens vorerst. Er hatte seine Geduld zur Kunst verfeinert und sie zu einer Waffe geschmiedet, mit der er Mensch und Natur ausspielen konnte, wenn er auf der Jagd war, doch jetzt, wo kein Geheimnis mehr zwischen ihm und Andie stand, drängte ihn sein Instinkt, schnell und entschlossen zu handeln. Sie hatte ihr Leben damit bestritten, den Männern zu gefallen, ihre eigenen Bedürfnisse, ihre Vorlieben und Abneigungen zu unterdrücken und nur das zu zeigen, was die Männer in ihr sehen wollten. Sie brauchte Zeit, aber sie brauchte auch das Gefühl, dass sie um ihrer selbst willen geliebt wurde. Sie brauchte das Gefühl, dass sie umworben wurde, dass sie begehrt wurde, dass sich das Blatt gewendet hatte; sie brauchte einen Mann, der ihr Herz zu gewinnen versuchte.
Geduld war nur eine andere Form von Beharrlichkeit. Vielleicht war es nicht besonders anständig, dass er sich nicht aus ihrem Leben zurückzog und sie in Ruhe ließ, nachdem er ihr so viel angetan und ihr so viel Schmerz zugefügt hatte. Aber wenn schon. Lieber ein Bastard und mit ihr zusammen als ein Gentleman, der sie ziehen ließ.
Wenn sie überhaupt nicht auf ihn reagiert hätte, hätte er den Verlust irgendwie abgeschrieben und sie in Frieden gelassen, doch sie hatte praktisch ununterbrochen auf ihrem
Stuhl herumgezappelt, er wusste genug über Frauen, um zu ahnen, dass sie sich an ihr erstes Zusammensein erinnert hatte. Er kannte sie seit jenem Nachmittag so gut, dass er wusste, wie sie aussah, wenn sie in Fahrt kam. Sie wollte gleichgültig wirken, aber das war sie keineswegs, genauso wenig, wie sie ihm gleichgültig war. Er hätte sich das gewünscht; er hätte sie am liebsten vergessen, sobald er ihr den Rücken zugekehrt hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben war ihm das nicht möglich. Ihn interessierte die Realität, nicht Rosen und Sehnsüchte, und was zwischen ihnen passiert war, war real – unerforscht, unentwickelt, aber real.
Nachdem er sich überzeugt hatte, dass sie blieb, wo sie war, wenigstens einstweilen, holte er sein Erste-Hilfe-Set heraus, desinfizierte sorgsam die Bisswunde in seinem Arm und
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