Süße Rache: Roman (German Edition)
Block und gezücktem Stift angesegelt. »Haben Sie schon gewählt?«
Andie bestellte Rührei, Speck und Toast, Simon tat es ihr gleich, nahm aber noch Kartoffelpuffer dazu. Sobald sie wieder allein waren, stellte sie die Tasse ab, damit sie für den Fall, dass er noch mehr Überraschungen im Ärmel oder in der Hose stecken hatte, nicht noch einmal in die Verlegenheit kam, ihren Kaffee über den Tisch zu prusten.
Es gab so vieles, was sie über ihn wissen wollte, auch wenn sie einige Fragen nicht zu stellen wagte, weil sie nicht sicher war, ob sie die Antwort hören wollte. Wenn sie es jetzt bedachte, war es beinahe beängstigend, ihm jede Frage stellen zu dürfen und alles beantwortet zu bekommen. Das wäre bei jedem Menschen beängstigend gewesen, aber bei diesem Mann hatte sie das Gefühl, einen Tiger mit einem Stock zu pieken, was immer riskant war, selbst wenn der Tiger es erlaubte.
Um sicherer zu werden, begann sie mit den leichten Fragen. »Wie alt bist du?«
Seine Brauen hoben sich überrascht. »Fünfunddreißig.«
»Dein Geburtstag?«
»Erster November.«
Sie verstummte. Sie hätte gern seinen richtigen Nachnamen erfahren, aber vielleicht ließ sie dieses Thema lieber ruhen. Seine Geheimnisse waren dunkler als ihre, und die Grenzen, die seine Persönlichkeit definierten, waren kräftig und in tiefem Schwarz gezogen.
»Das ist alles?«, fragte er, als keine weitere Frage kam. »Du wolltest wissen, wie alt ich bin und wann mein Geburtstag ist?«
»Nein, das ist nicht alles. Das ist nur schwieriger, als ich dachte.«
»Willst du wissen, wie alt ich war, als ich zum ersten Mal jemanden umgebracht habe?«
»Nein.« Sie sah sich hastig um, ob jemand ihn gehört hatte, aber er hatte das so leise gesagt, dass seine Stimme nicht über ihren Tisch hinweg gedrungen war und niemand sie schockiert ansah.
»Siebzehn«, fuhr er gnadenlos fort. »Damals habe ich entdeckt, dass ich eine natürliche Begabung für Drecksarbeit habe. Letztes Jahr habe ich diese Arbeit allerdings aufgegeben, nachdem ich heulend in einer Krankenhauskapelle saß, weil ich kurz zuvor vor deinem Krankenzimmer gestanden und dein Gespräch mit einer Krankenschwester belauscht hatte und weil ich dabei erfahren hatte, dass du nicht nur überlebt, sondern nicht einmal bleibende Schäden davongetragen hattest. Seither habe ich keinen Job mehr angenommen.«
29
Verflucht, verflucht, verflucht.
Die nächsten zwei Tage brachte Andie damit zu, ihn zu verfluchen, nicht nur, weil sie ihn nicht mehr sah, obwohl sie wusste, dass er irgendwo dort draußen war und sie im Auge behielt, sondern vor allem, weil er ihr an jenem Tisch im Frühstücksrestaurant seine Seele offenbart hatte und sie sich daraufhin prompt in ihn verliebt hatte. Sie hatte schon viele Dummheiten in ihrem Leben begangen, doch sich in einen Profikiller zu verlieben, selbst einen im Ruhestand, war eindeutig die Krönung. Falls sie je einen schlagenden Beweis gebraucht hatte, dass sie unfähig war, sich für den richtigen Mann zu entscheiden, und die Finger, nein, die Fingerspitzen von jeder romantischen Beziehung lassen sollte, dann hatte sie diesen Beweis hiermit bekommen.
Sie hatte nicht geweint, obwohl sie es gewollt hatte. Er hatte sein herzzerreißendes Geständnis ganz ruhig und sachlich vorgebracht und ihr damit ermöglicht, die Fassung zu wahren, bis sie nach einer Weile in der Lage gewesen war, noch mehr Fragen zu stellen, wie die nach seinem Geburtsort – in einer US-Kaserne in Deutschland – und seiner Familie – er war ein Einzelkind, seine Eltern waren beide gestorben. Selbst wenn er nahe Angehörige gehabt hätte, dachte sie, hätte er vorgezogen, allein zu bleiben. Sie war ebenfalls allein durchs Leben gegangen und wusste daher, wie es war, wenn man sich niemandem anvertrauen und niemandem vertrauen konnte. Sie hatte noch immer kein Vertrauen gefasst, jedenfalls kein enges. Seit sie sich hier in Kansas City niedergelassen hatte, hatte sie
keine Freundschaften geschlossen, was wirklich ein Jammer war, doch darum verstand sie ihn in dieser Hinsicht ganz und gar.
Er war in vielen Bereichen untypisch. Er interessierte sich nicht für Sport, was nur logisch war; Mannschaftssportarten waren nichts für einen Einzelgänger. Er hatte keine Lieblingsfarbe, und er mochte keinen Kuchen. Vielleicht betrachtete er solche Neigungen als Schwächen, die ihn angreifbar machten, und distanzierte sich absichtlich von vielen der Vorlieben und Abneigungen, durch die sich
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