Süße Rache: Roman (German Edition)
würde bis eine Stunde, vielleicht auch weniger, vor Bankschluss warten, bevor sie das Geld auf zwei getrennte Konten transferierte: zum einen auf eine Bank in Elizabeth, New Jersey, größtenteils jedoch auf die kleine unabhängige Bank in Grissom, Kansas, wo sie immer noch das erste Bankkonto ihres Lebens unterhielt. Der New Yorker Bank wäre es gesetzlich verboten, Rafael mitzuteilen, was sie mit dem Geld angestellt hatte, nachdem es auf ihrem Konto gelandet war.
Sie musste unwillkürlich lächeln. Rafael hatte darauf bestanden, dass sie ihr Konto auf seiner Bank eröffnete, weil es für ihn dadurch einfacher war, ihr Geld zu überweisen, wenn sie welches brauchte. Er hatte vorgehabt, das Konto als Gemeinschaftskonto zu führen, aber er war bei der Eröffnung nicht dabei gewesen, und dummerweise hatte sie diesen Teil seiner Anweisungen »vergessen«, obwohl sie pflichtbewusst die Auszüge an seinen Namen schicken ließ, damit er verfolgen konnte, wie viel sie ausgegeben hatte. Er hatte sich zwar geärgert, aber nicht so sehr, dass er etwas daran geändert hatte, denn er hatte angenommen, dass er sie kontrollieren konnte, wenn er wusste, wann wie viel Geld auf ihrem Konto landete. Er hatte sich damals geirrt, und er irrte sich auch jetzt.
Sie marschierte im Zimmer auf und ab und ging noch einmal alle Schritte durch, die sie bis jetzt unternommen hatte, um ja kein Detail zu vergessen. Sie legte noch eine dünne schwarze Kapuzenjacke in ihre Ledertasche, damit sie ihr Haar bedecken konnte, bis sie es geschnitten hatte. Sie hätte auch eine Schere mitnehmen und es selbst abschneiden können, aber sie wollte nicht, dass jemand lange blonde Strähnen in einem Mülleimer fand und daraufhin zwei und zwei zusammenzählte. Sie würde ihre Haare
gleich morgen in einem Friseursalon kürzen lassen, wo dauernd Haare geschnitten wurden und niemand sie beachtete.
Sie prüfte, ob der BlackBerry aufgeladen war, warf ihn ebenfalls in die Tasche und legte dann noch einen letzten Gegenstand hinein: eine leere Brieftasche. Das war alles, beschloss sie. Sie nahm so wenig wie möglich mit, nur das, was sie sofort benötigte. Sie war bereit.
Scheiße, nein, war sie nicht. Im Geist schlug sie sich gegen die Stirn, lief dann zum Schrank und löste den festgeklebten Schlüssel zu ihrem Schließfach aus der Spitze ihres Satinpantoffels. Ohne den Schlüssel könnte sie ihren Schmuck nicht mitnehmen, außerdem befand sich in ihrem Schließfach auch der Zettel mit ihren Kontonummern. Sie konnte kaum fassen, dass sie um ein Haar ohne den Schlüssel aus dem Haus spaziert wäre. Sie wäre hilflos gewesen, sie hätte gar nichts unternehmen können, sie hätte dann entweder ohne einen Cent abhauen oder riskieren müssen, noch einmal zurückzukommen und den Schlüssel zu holen, was bedeutet hätte, dass sie womöglich noch in Rafaels Reichweite gewesen wäre, wenn er entdeckt hätte, was sie ihm angetan hatte. Bei dem Gedanken wurde ihr schwindlig. Selbst wenn sie noch nicht aufgeflogen wäre, hätte er heute Abend bestimmt mit ihr schlafen wollen, und sie wusste, dass sie das nicht mehr ertrug. Sie konnte sich nicht mehr verstellen, sie konnte ihm nicht länger verheimlichen, was sie dachte und fühlte.
Sie trat an die Zimmertür, hustete mehrmals, um zu übertönen, wie sie das Schloss entriegelte, und zog die Tür auf. Wenig später stand sie im Durchgang zum Wohnzimmer. Armando und Hector sahen sie beide an. »Es geht mir schon wieder besser«, erklärte sie heiser. »Ist es okay, wenn ich in die Bücherei gehe?«
Sie kannte ihre Befehle, trotzdem formulierte sie ihren Wunsch lieber als Frage. Sie war Rafaels Männern nie hochnäsig oder herablassend gekommen, sondern hatte sich immer so demütig und fügsam wie möglich gezeigt, sie würde diese Rolle bis zum Schluss beibehalten.
»Ich hole den Wagen.« Armando stand mit resigniertem Blick auf. Offenbar hatten Hector und er diese Möglichkeit schon ausdiskutiert, und Armando hatte den Kürzeren gezogen. Hector durfte im Penthouse bleiben und Sport schauen, während der arme Armando in der Nähe der Bibliothek einen Parkplatz finden und im Auto auf ihren Anruf warten musste.
»Ich ziehe mich kurz um und komme gleich raus«, versprach Drea. Sie wusste, dass sie ihr nicht glaubten, weil sie normalerweise ewig brauchte, um sich fertig zu machen, aber heute zog sie sich mit einer Geschwindigkeit und Zielstrebigkeit um, die sie sonst sorgsam vermied. Sie schlüpfte in eine cremefarbene
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