Süße Rache: Roman (German Edition)
plante und jetzt herauszufinden versuchte, wann der Geldbestand in der Bank am höchsten war.
Die Dinge entwickelten sich gar nicht so wie geplant. Statt das Geld einzusacken und sofort zu verschwinden, sah es so aus, als würde sie mindestens eine Woche in Grissom hängen bleiben. Grissom war ein Kaff, in dem es, soweit sie sich erinnerte, genau ein winziges Motel gab, wo sie wie auf dem Präsentierteller sitzen würde.
Allerdings konnte sie sich weniger angreifbar machen, indem sie sich im Umkreis von hundert Meilen bewegte und nie länger als eine Nacht an einem Ort blieb. Allmählich
begann die Geschichte an ihren Nerven zu zerren, aber wenn sie die Fährte unterbrechen wollte, musste sie es irgendwo tun, und je eher sie es tat, desto besser.
»Ich verstehe«, sagte sie. »Ich weiß, dass das nicht einfach ist. Ich komme morgen Nachmittag vorbei.«
»Wir werden hoffentlich eine Lösung finden«, sagte Mrs Pearson, was, wie Drea vermutete, Klartext war für: »Hoffentlich kommen Sie noch zur Vernunft.«
Sie erreichte die Bank am nächsten Nachmittag zwanzig Minuten vor der Schließung; weil sie die Strecke unterschätzt hatte, war sie am Morgen um vier Uhr aufgestanden und praktisch den ganzen Tag durchgefahren. Sie war müde, ein bisschen benebelt nach der dreitägigen Autofahrt und eindeutig mit den Nerven am Ende. Ihre Haare thronten als verfilztes Nest auf ihrem Kopf, weil sie am Morgen keine Zeit gehabt hatte, die dauergewellten Locken mit dem Föhn zu glätten, aber immerhin sah sie mit ihren Locken dem Foto auf ihrem Führerscheinbild halbwegs ähnlich. Sie wollte sich lieber nicht ausmalen, was los war, wenn die Bank nicht glaubte, dass sie die war, die sie zu sein behauptete. Wie sollte sie ihre Identität beweisen? Indem sie sich ein Beglaubigungsschreiben von Rafael besorgte? Na klar.
Doch wie sich herausstellte, nutzte ihr das zerzauste Aussehen sogar. Mrs Pearson sah aus wie frisch aus dem Denver Clan entflohen, aber ihre Augen glänzten gütig, und unter ihrem furchteinflößend breitschultrigen Kostüm schlug ein mütterliches Herz. Bis zu ihrem Eintreffen hatte Drea sich eine Herzschmerzstory über einen prügelnden Ehemann zurechtgesponnen, der sie immer noch verfolgte, aber die Geschichte half ihr nicht. In der vergangenen Nacht war die Mutter des Filialleiters gestorben; er war nach Oregon geflogen und würde erst nach der Beerdigung
zurückkehren. Niemand wollte ihn belästigen, und niemand in der Bank wollte die Verantwortung dafür übernehmen, außerhalb der Reihe eine so große Summe Bargeld zu ordern.
Herr im Himmel, dachte Drea halb verzweifelt, warum hatte sie ihr Konto nicht bei einer großen, landesweiten Bank eingerichtet, die wahrscheinlich jeden Tag oder mehrmals am Tag Bargeld geliefert bekam, sondern bei dieser Klitsche in einem Kaff mit nicht mal dreitausend Seelen? Sie konnte in die nächste Stadt fahren, vielleicht nach Kansas City, dort ein neues Konto eröffnen und das Geld telegrafisch dorthin überweisen lassen, aber in größeren Städten gab es auch mehr Drogengelder, dort hatte Rafael dann möglicherweise mehr Einfluss. Sie käme schneller an ihr Geld, aber sie würde sich dabei größerer Gefahr aussetzen.
Außerdem war es inzwischen Freitagnachmittag, also konnte sie das Konto erst am nächsten Montag eröffnen. Selbst wenn sie die Summe sofort überwies, würde die Überweisung wahrscheinlich erst am Spätnachmittag eintreffen. Damit konnte sie sich frühestens am Dienstag ihr Geld auszahlen lassen, und ob die Bank am selben Tag so viel ordern konnte, blieb dahingestellt. Wenn sie ganz sicher gehen wollte, würde sie die Summe frühestens am nächsten Mittwoch von einer anderen Bank abheben können, wohingegen sie zwei Tage mehr, also bis zum nächsten Freitag brauchen würde, um das Geld hier zu bekommen.
Damit standen zwei zusätzliche Tage gegen die zusätzliche Gefahr. Beide Alternativen waren nicht besonders verlockend, aber eine dritte Möglichkeit sah sie nicht. Besser sah es nur aus, falls die Mutter des Filialleiters schon am Wochenende beigesetzt wurde und er am Montag wieder zur Arbeit erschien, was sie aber bezweifelte.
»Ich nehme an, ich muss wohl ein paar Tage bleiben«, erklärte sie mit einem dünnen, erschöpften Lächeln. »Können Sie das Motel empfehlen, oder soll ich mich lieber im nächsten Ort umsehen?«
Sie brauchte drei Dinge, überlegte Simon: Bargeld, ein Auto und ein Handy. Nachdem sie so gerissen war, hatte sie
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