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Süße Rache: Roman (German Edition)

Süße Rache: Roman (German Edition)

Titel: Süße Rache: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Howard
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bei Bewusstsein war, arbeitete ihr Gehirn ununterbrochen – vielleicht nur langsam, aber es arbeitete. Sobald der Chirurg die Medikation einzuschränken begann, kam es ihr vor, als zappelten zahllose Gedanken in ihrem Kopf, mehr Gedanken, als ihr Schädel fassen konnte. Anfangs irritierte sie die fehlende Verbindung zwischen Hirn und Zunge, aber je klarer die Gedanken wurden, desto klarer wurde ihr auch, dass ihr Schweigen nicht auf einen Hirnschaden zurückzuführen war, sondern dass es
sich um eine Art Informationsstau handelte. Dieser verbale Kurzschluss war eine Schutzvorkehrung ihres Geistes, bis sie alles für sich geklärt hatte.
    Sie musste so vieles neu bedenken. Sie schienen nicht zu wissen, wer sie war, sonst hätten die Schwestern nicht bei jedem Schichtwechsel nach ihrem Namen gefragt. Aber warum kannten sie ihren Namen nicht? Wo war ihre Handtasche abgeblieben? Ihr Führerschein steckte in der Brieftasche. Hatte man ihr die Tasche gestohlen? Das glaubte sie eigentlich nicht. Sie erinnerte sich, sie meinte sich zu erinnern, dass er – der Mann, der Killer – ihre Handtasche genommen und sie dann in den Wagen zurückgeworfen hatte. Warum sollte er ihren Führerschein herausnehmen? Was in aller Welt wollte er damit? Wenn ihr auch beim besten Willen kein Grund einfallen wollte, warum er ihr den Führerschein wegnehmen sollte, so wollte ihr genauso wenig einfallen, warum niemand wusste, wie sie hieß. Hatte er ihr unbeabsichtigt einen Gefallen erwiesen?
    Im Grunde wusste sie selbst nicht mehr, wer sie war. Drea, ihre selbst erschaffene Kreatur, war tot. Sie war Drea gewesen, sie war jetzt nicht mehr diese Frau. Sie war nicht sicher, wer sie jetzt war. Namen … was bedeutete schon ein Name? Für Drea hatte er alles bedeutet; die schlichte Andie war auf der Strecke geblieben, und die schicke Drea war an ihre Stelle getreten.
    An schick war nichts auszusetzen, aber an Drea hatte es vieles auszusetzen gegeben. Während sie in ihrem fensterlosen Intensivzimmer lag, wo sie nicht einmal feststellen konnte, ob es Tag oder Nacht war, und sie die Zeit nur am Schichtwechsel der Schwestern ablesen konnte, betrachtete sie sich selbst, ihre alte Identität, im grellen Licht einer neuen Wirklichkeit.
    Sie war so unglaublich blöd gewesen. Sie hatte geglaubt, die Männer zu benutzen, und war auch noch stolz darauf gewesen, doch in Wahrheit war sie benutzt worden. Die Männer hatten nur ihren Körper gewollt, und genau den hatte sie ihnen gegeben, inwiefern hatte sie die Männer also benutzt? Sie hatten bereitwillig bezahlt, und sie hatte sich bereitwillig bezahlen lassen, folglich war sie genau das gewesen, was sie nie hatte sein wollen: eine Hure. Keiner von ihnen, am wenigsten Rafael, hatte einen Pfifferling darauf gegeben, ob sie einen eigenständigen Gedanken fassen konnte, ob sie Gefühle oder Interessen, Vorlieben oder Abneigungen hatte. Keiner von ihnen hatte sie als Menschen gesehen, weil das keinem von ihnen wichtig gewesen war. Sie war absolut austauschbar gewesen; sie hatte nur als Sexobjekt gezählt.
    Sie hatten so wenig von ihr gehalten, weil sie selbst so wenig von sich gehalten hatte. Sie konnte sich nicht erinnern, dass sie sich je besonders geschätzt oder höhere Ansprüche an sich gestellt hätte. Als Erwachsene hatte sie ihre Entscheidungen nie danach gefällt, was richtig war, was sie tun sollte; stattdessen hatte sie immer das gewählt, was sich auszahlte, was ihr am meisten nutzte. Das war das einzige Kriterium gewesen. Vielleicht fällten die meisten Menschen ihre Entscheidungen genauso, aber sie nahmen gleichzeitig große Mühen auf sich, um Freunden zu helfen, sie opferten ihre materielle Sicherheit, um für ihre Kinder zu sorgen oder für ihre alten Eltern, oder sie spendeten Geld oder taten irgendwas. Sie hatte nichts davon getan. Für sie hatte immer nur Drea gezählt – zuerst, zuletzt, ausschließlich.
    Jetzt zog sie zum ersten Mal gnadenlos Bilanz. Sie sah ihre Fehler und erkannte, dass ihr Leben eine einzige große Lüge gewesen war. Nur ein einziges Mal – ein einziges
Mal – war sie wirklich sie selbst gewesen, da war sie mit ihm zusammengewesen, doch damals war sie zu verängstigt gewesen, um ihm noch etwas vorzuspielen, außerdem hatte er sie sowieso längst durchschaut. Als einziger Mann in ihrem ganzen Leben. Hatte sie deshalb so überspannt auf ihn reagiert, emotional wie körperlich? Sie konnte nicht behaupten, dass er ihr das Herz gebrochen hatte, denn ganz offensichtlich

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