Süsse Sehnsucht Tod
überhaupt nicht vorstellen konnte, mit einem Toten zu reden. Das paßte nicht in ihre klare technisierte und computerisierte Welt hinein, aber sie mußte sich eingestehen, daß es noch eine Welt hinter dieser gab. Und die wollte sie entdecken.
Deshalb hatte sie es selbst versucht. Kontakt mit dem Großvater, das wäre das Größte gewesen.
Es hatte nicht geklappt. Nicht mit ihrer Musikanlage. Oder sie war zu aufgeregt gewesen, aber diese Dinge waren ihr nie aus dem Kopf gegangen, und sie glaubte fest daran, daß sie irgendwann ebenfalls Kontakt mit einem Toten bekommen würde.
Aus diesem Grunde auch der Urlaub. Sie wollte sich intensiv mit dem neuen Gebiet beschäftigen. Viel lesen, sich in die Theorie hineinknien, auf die Bücher von Fachleuten vertrauen und dann weitersehen. Dabei sollte ihr Mandy natürlich helfen.
Beide wohnten auf einem Flur, nur eben an verschiedenen Enden. So mußte Iris eine recht lange Strecke gehen, bis sie die Freundin erreichte.
Es war komisch, an diesem Morgen war sie nicht so richtig in die Reihe gekommen. Zwar hatte sie gut geschlafen, aber sie fühlte sich doch marode, und selbst nach einigen Tassen Kaffee war dieses Gefühl nicht verschwunden. Die Augen blieben auch weiterhin schwer. Zu schwer, denn nach dem Frühstück wurde sie so müde, daß sie sich noch einmal hinlegte und tatsächlich einschlief.
Nach dem Erwachen machte sie sich Vorwürfe. Es war schon verrückt, am frühen Morgen zu schlafen. Das konnten sich irgendwelche Rentner erlauben, aber nicht eine Frau um die Dreißig.
Sie gähnte und rieb sich die Augen. Der Druck dahinter hatte sich abgeschwächt, war aber noch vorhanden. »So ein Mist«, flüsterte Iris.
Sie zündete sich eine Zigarette an, mußte nach dem ersten Zug schon husten und drückte den Glimmstengel wieder aus.
Mist. Dieser Morgen war einfach nicht ihr Tag. Dabei hatte sie sich mit Mandy Alwood verabredet, und wenn sie auf die Uhr schaute, mußte sie einsehen, daß die Zeit schon überschritten war. Zudem wunderte sie sich darüber, daß Mandy noch nichts von sich hatte hören lassen. Das kam ihr schon suspekt vor, und sie würde irgendwann auch etwas dagegen unternehmen, aber noch nicht sofort.
Sie gähnte.
Mit müden Schritten ging sie durch das Zimmer und betrat das Minibad.
Die Dusche hatte sie auf eigene Kosten einbauen lassen. Sie war klein, aber fein, im Gegensatz zu der vorherigen Waschgelegenheit.
Iris Cramer zog sich aus.
Sie war eine attraktive Frau, die vor allen Dingen wert auf ihre Frisur legte und die Kolleginnen in der Firma öfter mit neuen Kreationen überraschte.
Nach dem Duschen fuhr sie nur kurz mit dem Fönwind durch die Haare.
Sie wuchsen in langen Spiralen an ihrem Kopf entlang, und sie schimmerten in mehreren Farben zwischen dunkel, hell und blond. Da hatte sie ihre Pracht schon raffiniert gefärbt, und sie gelte sie auch.
Dabei stand sie vor dem Spiegel, der die gesamte Wandbreite einnahm und das winzige Bad größer erscheinen ließ.
Iris war mit ihrem Aussehen zufrieden, auch wenn sie hier und da schon ein Fältchen gesehen hatte. Eine gerade Nase, ein schöner Mund und ein nicht zu blasser Teint. Die hohe Stirn und die langen Brauen gaben ihr schon ein fraulichelegantes Aussehen. Iris griff zur Bürste, um die Flut in Form zu bringen.
Sie setzte die Bürste an, wollte sie nach unten ziehen, als sie mitten in der Bewegung stoppte.
Das Gesicht verzog sich wie bei einem Menschen, der einen starken Schmerz verspürt. Für einen Moment blieb ihr Mund offenstehen, denn durch ihren Kopf hatte jemand eine Säge gezogen. Einen derartig stechenden Schmerz hatte sie noch nie zuvor erlitten.
Iris blieb starr sitzen, die Bürste noch im Haar verhakt, und betrachtete im Spiegel ihr gezeichnetes Gesicht.
Dann war der Schmerz weg. So plötzlich und ohne Nachwirkungen.
Jemand hatte ihr die Säge aus dem Kopf gezogen, und endlich atmete sie wieder tief durch.
Auch der Schwindelanfall verging, sie kam wieder zu sich, zog die Bürste nach unten und schüttelte den Kopf. Was war das nur? Sie konnte es nicht begreifen. Wie kamen die Schmerzen zustande?
Iris kämmte ihr Haar weiter durch. Aber sie war nicht mehr so locker wie zuvor. Jetzt wartete sie förmlich darauf, daß sich der Schmerz wiederholen würde, aber er kehrte nicht zurück. Sie konnte das Haar auskämmen. Dabei schaute sie den letzten dünnen Schwaden zu, die durch die offene Tür flössen.
Der Spiegel war leicht beschlagen. Einige Tropfen liefen in Bahnen
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