Süsse Sehnsucht Tod
Und es ist auch gut, daß Sie in dieser Situation nicht allein sind, Iris. Manchmal hat das Schicksal auch ein Einsehen.« Ich legte einen Arm um sie. »Gemeinsam werden wir es schaffen.«
»Wie denn?«
»Das wird die Situation ergeben.«
»Sorry, aber so genau kann ich das nicht nachvollziehen. Ich habe nie damit zu tun gehabt.«
»Was machen Sie denn beruflich?«
»Ich arbeite in einer Computer-Firma. Nichts Besonderes, jedenfalls nichts Geisterhaftes. Mit Stimmen habe ich nichts zu tun. Nur mit denen meiner Kollegen.«
Ich zog die Tür zum Bad auf, das sehr klein war. Deshalb wunderte ich mich auch nicht über den großen Spiegel, dessen Fläche von Wand zu Wand reichte und das Zimmer größer erscheinen ließ. Iris Cramer war an der Tür stehengeblieben. Ihre linke Hand zeigte auf die blanke Fläche. »Genau in der Mitte habe ich das Gesicht für einen Moment gesehen. Es war aber nicht normal. Es sah aus wie eine Strichzeichnung. Ziemlich verzerrt und schief, fast so, als bestünde es aus Blitzen.«
»Sie haben sich nicht geirrt, was das Erkennen angeht? Sie sind sicher, daß es Mandys Gesicht gewesen ist?«
»Ja, bin ich, auch wenn es wie abgeschnitten wirkte.« Sie strich über ihren Hals. »Hier unten.«
Ungefähr an dieser Stelle war Mandy von dem Sägeblatt erwischt worden, aber ich hielt mich wohlweislich zurück, wie die junge Frau ums Leben gekommen war, denn ich wollte Iris nicht noch mehr verunsichern.
Wenn sie danach fragte, okay, ansonsten wollte ich abwarten.
Manche Spiegel erfüllen bestimmte Funktionen, das wußte ich. Als Tore oder Zugänge in andere Dimensionen hatte ich sie erlebt. Wege in andere Welten und jetzt auch zum Jenseits?
Äußerlich war dieser glatten Spiegelfläche nichts anzusehen. Völlig normal lag sie vor mir. Ich sah mich darin auf keinen Fall verzerrt. Aber das hatte nichts zu sagen. Fast alle Spiegel, die gleichzeitig Dimensionstore waren, sahen normal aus.
Ich strich mit der Hand darüber hinweg.
»Nichts«, sagte ich.
»Bitte, John?«
»Schon gut, Iris. Und wundern Sie sich nicht, wenn Sie gleich etwas erleben, das Ihnen ein wenig spanisch vorkommen wird, wenn ich das mal so sagen darf.«
Sie schaute zu, wie ich mein Kreuz hervorholte, kam sogar näher, um es zu bestaunen, und flüsterte: »Mein Gott, ist das schön.«
»Ja, es hat seinen Reiz«, gab ich zu. Ich freute mich, daß es ihr so gefiel.
Das Kreuz war mir eine sehr große Hilfe. Ich hatte nicht vergessen, daß es sich im Treppenhaus dieses Bauwerks erwärmt hatte. Hier mußte es also etwas geben, das den normalen Gesetzen widersprach. Vielleicht in diesem Spiegel.
Ich sah mich selbst mit dem Kreuz in der Hand, wie ich mich der Fläche immer mehr näherte. Manchmal reichte es schon, einen derartigen Spiegel nicht zu berühren, sondern nur zu locken, aber in diesem Fall war es vergebens.
Die Spiegelfläche veränderte sich nicht. Ihr Aussehen blieb gleich. Es öffnete sich kein Weg, um einzutauchen in eine andere Dimension.
Selbst dann nicht, als ich mit dem Kreuz über die Oberfläche hinwegstrich und den dabei entstehenden Geräuschen lauschte.
Ich nahm die Hand wieder zurück und hob die Schultern. »Schade«, kommentierte ich.
»Was haben Sie denn herausfinden wollen?«
»Es ist für einen Laien nicht einfach zu begreifen. Ich wollte wissen, ob dieser Spiegel normal ist oder manipuliert wurde, so daß der Zugang in eine andere Dimension entstand.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Macht auch nichts, Iris. Kommen Sie, wir gehen wieder zurück in das andere Zimmer.«
»Und dann?«
Ich lächelte. »Wissen Sie, ich glaube nicht, daß sich die anderen Kräfte zurückgezogen haben. Sie sind noch da, sie lauern und…«
»Damit meinen Sie doch Mandy und diesen Eddy.«
»Richtig.«
Iris Cramer setzte sich und starrte das Radio an, als wollte sie es hypnotisieren, aber damit geschah nichts. Es blieb völlig ruhig, nicht mal das Rauschen war zu hören.
Aber es war noch eingeschaltet. Es stand auf Empfang. Als wollte es uns unter Kontrolle halten.
Ich war mit Mandy zusammengewesen. Gemeinsam hatten wir die Stimme des Hingerichteten gehört. Das aber war Mandy gelungen. Ich glaubte nicht, daß ich das gleiche schaffte.
Iris Cramer wurde nervös. Von einem Augenblick zum anderen bewegte sie sich nicht nur unruhig, sie strich auch fahrig mit ihren Händen durch das Gesicht, bewegte wild die Augen und ebenso den Kopf, und dabei schaute sie immer wieder auf die Apparatur.
»Was ist, Iris?«
Sie
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