Süsse Sehnsucht Tod
wahrscheinlich falsch. Ich kannte Mandy. Ich war gestern bei ihr. Sie hat mich gebeten, ebenfalls zuzuhören, wenn sich die Stimme aus dem Jenseits meldet. Verstehen Sie jetzt? Sie brauchen keine Furcht vor mir zu haben. Es wird alles gut werden, das verspreche ich Ihnen. Deshalb möchte ich Sie bitten, mir Vertrauen zu schenken. Sie können reden, ich werde Ihnen zuhören. Danach werden wir gemeinsam überlegen, welche Maßnahmen wir ergreifen können. Mein Kollege und ich sind nicht nur wegen der toten Mandy hier erschienen, sondern auch wegen der Stimme.«
»Ja«, sagte sie leise, »das weiß ich. Wo ist Mandy? Liegt sie in ihrer Wohnung?«
»Das nicht.«
»Wer hat sie denn umgebracht? Haben Sie schon eine Spur, John? Einen Anhaltspunkt?«
»Ihre Freundin wurde nicht umgebracht«, stellte ich richtig. »Sie hat Selbstmord verübt.«
Die Antwort erschreckte Iris. »Selbstmord?« hauchte sie. »Warum tat sie das denn?«
»Das wissen wir noch nicht.«
Iris Cramer atmete tief ein.
»Es hängt mit Eddy Greenes Stimme zusammen, nicht?«
»Möglich«, gab ich zu. »Sie werden verstehen, daß ich das gern genau herausfinden will.«
»Klar.« Sie nickte vor sich hin.
»Und dabei könnten Sie mir helfen, indem Sie mir erzählen, was Sie erlebt haben. Von Beginn an, wenn es möglich ist. Nehmen Sie sich genügend Zeit, dann wird die Erinnerung um so stärker sein.«
»Das habe ich mir schon gedacht«, sagte sie leise. »Es ist nicht einfach, aber ich versuche es.«
»Danke.«
In der nächsten Zeit hörte ich nur zu. Sie redete am Anfang sehr langsam und stockend, mußte hin und wieder einen Schluck trinken, dann aber drangen die Worte flüssiger aus ihrem Mund, und ich konnte mir ein sehr gutes Bild von dem machen, was die beiden Frauen erlebt hatten und was vor kurzer Zeit hier in der Wohnung passiert war.
»So«, sagte Iris Cramer zum Schluß. »Jetzt wissen Sie alles. Und ich habe auch nichts ausgelassen.«
»Das beruhigt mich.«
»Aber bringt es uns weiter? Ich verstehe nicht, daß mich Mandy aus ihrer Welt hat rufen können. Das will mir einfach nicht in den Kopf, John.«
»Es ist auch kaum zu fassen, aber so etwas gibt es allerdings nicht sehr oft. Es kann positiv, aber auch negativ ausgehen, wie in Mandys Fall.«
»Warum brachte sie sich wohl um? Ich kannte sie doch, und es bestand kein Grund. Sie war ein lebensfroher Mensch, einfach wunderbar. Nicht überdreht wie viele Künstler, mehr nach innen gekehrt, aber ihren Optimismus hat sie nicht verloren. Niemals, John. Deshalb kann ich den Freitod nicht begreifen.«
»Sie haben recht. Das Wort Freitod scheint mir in diesem Fall nicht ganz zu stimmen. So wie Sie Ihre Freundin geschildert haben, und ich glaube es Ihnen, hatte sie keinen Grund, sich umzubringen. Sie hat es getan, aber sie tat es nicht aus eigenem Antrieb. Sie ist dazu verleitet worden. Jemand hat sie geführt. Jemand hat einfach die Kontrolle über diese Frau errungen.«
Iris Cramer war überrascht.
Sie rutschte mir auf der Sitzfläche des Stuhls immer näher.
Ihre Blicke hatten an meinem Mund gehangen, als wollte sie jedes Wort aufsaugen. »Meinen Sie das wirklich, John?«
»Sicher.«
»Wissen Sie denn, wer es getan haben könnte?«
»Ich denke, Iris, das wissen wir beide.«
»Er – nicht?«
»Richtig.«
Iris wollte es genauer wissen. »Ich meine damit diesen Verbrecher Eddy Greene.«
»Das ist auch meine Ansicht.«
»Verrückt«, flüsterte sie. »Wenn mir das jemand vor einigen Tagen erzählt hätte, ich hätte ihn ausgelacht und für einen Idioten gehalten. Aber jetzt…« Sie blickte an mir vorbei, um das Radio sehen zu können.
»Es war ihre Stimme, John, und sie war nicht mal von einem Rauschen überdeckt, wie es bei Eddy der Fall gewesen war. Ich hörte sie sogar ziemlich klar und deutlich.«
»Aber Sie wissen nicht, was Mandy von Ihnen wollte?«
»Nein, ganz und gar nicht. Vielleicht hätte ich in der Wohnung bleiben und nicht weglaufen sollen, aber ich war dermaßen geschockt, daß ich nicht anders konnte. Zudem habe ich noch für einen Moment ihr Gesicht im Spiegel gesehen.«
»Ja, das sagten Sie. – Zeigen Sie ihn mir mal?«
»Natürlich.«
Wir erhoben uns zur gleichen Zeit. Bevor wir gingen, lächelte mich Iris an und lehnte sich an mich. »Ich bin so froh, daß Sie hier sind, John. Mein Weltbild ist völlig durcheinandergeraten. Ich fühle mich wie von unsichtbaren Trümmern umgeben. Komisch, nicht?«
»Nein, ganz und gar nicht komisch. Das ist normal.
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