Suesse Versuchung
der das Land an der See erwärmte.
Nun, ihr war es recht. Es war ja ganz hübsch, ein paar Palmen zu sehen, um dann
aber wieder zum Heidekraut heimzukehren, zu Wind und Regen.
Andererseits - Regen gab es hier auch. Gerade jetzt fiel ein leichter Schauer vom
Himmel. Sophie ließ sich jedoch nicht von ihrem Vorhaben abhalten. Die Jacke war
aus festem Stoff, und die Kappe hielt ihr den Regen aus dem Gesicht und schützte ihr
Haar. Sie genoss die frische Morgenluft, und bald schon hörte das Nieseln auf und
einige vorsichtige Sonnenstrahlen brachen durch die Wolken. Sophie ritt die schmale
Straße hinauf, die zu den Downs führte, vorbei an einer Schafherde bis zum Beachy
Head, der höchsten Stelle der Klippen. Dann ging es wieder bergab. Nur noch einige
Minuten und dann musste sie in einen kleinen Feldweg einbiegen, der sie nach etwa
einer halben Meile zu Marian Manor brachte.
Rosalind mochte diesen Weg ebenfalls, auch wenn sie sich an windigen Tagen den
Weg über die Graslandschaft erkämpfen musste. Zuerst hatte man viel freies Gebiet,
aber dann wurde der Weg zwischen den viele Meter abfallenden Klippen zur Linken
und wilden, dichten Ginstersträuchern zur Rechten etwas enger, manchmal gab es nur
etwa fünfzig Meter freie Grasfläche. Wenn es zu stürmisch war, ritt Sophie lieber auf
dem Karrenweg hinter den Sträuchern, dem sich Felder anschlossen, aber heute war es
sicher, den Weg entlang den Klippen zu nehmen. Der Wind hatte in den letzten
Minuten den Regen endgültig vertrieben, es wurde stiller, und der Blick auf das
bewegte Meer und die dunklen Wolken in der Ferne war zu schön, um nicht genossen
zu werden, wann immer sich die Gelegenheit bot.
An diesem Morgen war Sophies Aufmerksamkeit jedoch geteilt. Weißt du, was ich
glaube, sagte sie zu Rosalind, die ihre Ohren nach hinten drehte. Ich glaube, er hat
deshalb mit Augusta geflirtet, weil er gesehen hat, wie böse sie auf mich war. Sie war
am Vorabend irritiert gewesen, aber nun, wenn sie im frischen Morgenwind darüber
nachdachte, wurde ihr klar, dass Lord Edward ihr mit diesen drei Tänzen etliche
gehässige Bemerkungen von ihrer Cousine und ihrer Tante erspart hatte. Die paar, die
sie noch in ihre Richtung abgeschossen hatten, waren schon beleidigend genug
gewesen. Aber das hat mich nicht gestört, erklärte sie Rosalind. Sie haben mich
nicht mehr kränken können. Du hättest mich sehen sollen, Rosalind! Wirklich! Ich
habe nicht schlecht getanzt. Vater wäre zufrieden gewesen. Und es hat unglaublichen
Spaß gemacht! Sie summte die Melodie, und ihre Beine zuckten vor Lust, abermals
zu tanzen.
Sie war kurz vor der Abzweigung, als sie plötzlich etwas vor sich erblickte, das sie
anhalten ließ. Sie kniff die Augen zusammen, um schärfer sehen zu können. Ein Reiter
auf einem Rappen hielt von dem rechts zwischen den Ginstersträuchern verlaufenden
Weg, den auch Sophie einschlagen musste, auf die Klippen zu. Sie setzte sich
überrascht im Sattel auf, als sie den Mann erkannte. Lord Edward!
Zuerst wollte sie Rosalind antreiben, um ihm einen Guten Morgen zu wünschen, aber
dann bemerkte sie, dass Lord Edward ungewöhnlich rasch unterwegs war. Sie blieb
stehen und verfolgte neugierig seinen Weg. Das war nicht der forsche Galopp eines
Reiters, der die Schnelligkeit seines Pferdes genoss. Entweder war das Pferd mit ihm
durchgegangen oder
Sie suchte mit den Augen die Richtung ab, die er einhielt. Wo
die Ginstersträucher endeten und die Wiese begann, bewegte sich etwas. Dort lief ein
Mensch! Sophies Stute machte einige schnelle Schritte in die Richtung, und Sophie
ließ sie gewähren schon aus Neugier. Der Verfolgte musste eine Frau sein. Langes,
schwarzes Haar wehte beim Laufen hinter ihr her. Sophie sah genauer hin und
erstarrte.
Die Frau war nackt!
Und Lord Edward verfolgte sie! Das war jetzt ganz eindeutig! Was um alles in der
Welt war mit ihm los? War er verrückt geworden? Hatte er die Frau überfallen, und sie
war vor ihm geflüchtet? Eine unangenehme Erinnerung an das Treffen bei Marian
Manor stieg in ihr hoch.
Die Frau lief schneller auf die Klippen zu. Entweder bemerkte die Fremde die Gefahr
nicht, oder sie wollte sich aus Angst vor Lord Edward hinunterstürzen. Ohne
nachzudenken gab Sophie ihrer Stute die Zügel frei und stieß ihr die Fersen in die
Weichen. Es war jedoch gar nicht nötig, Rosalind anzutreiben, die hatte längst das
wild galoppierende Pferd von Lord Edward
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