Suesse Versuchung
Aber sogar der
Prinzregent? Ja, wusste denn wirklich niemand, wer Jonathan Hendricks wirklich war?
Ein Schmuggler? Ein Pirat?!
Ihr Blick fiel auf Lord Edwards unnahbare, von der kleinen Laterne im Inneren der
Kutsche beleuchtete Miene. Ihre Gedanken überschlugen sich, wie so oft in der letzten
Zeit. Captain Hendricks hatte also nicht gelogen, als er ihr erzählt hatte, dass Lord
Edward ebenfalls Gast in seinem Haus war. Ihr Verdacht, dass dieser auf welche Art
auch immer mit den Schmugglern zu tun hatte, wurde damit bestätigt. Es war ein
Gedanke, der ihr die Kehle zusammenschnürte. Und noch schlimmer wurde es, als ihr
klar wurde, dass er sich auf ebensolche Weise mit den willigen Damen dort vergnügte
wie die anderen Männer. Das Bild von Tante Elisabeths Nachbarn mit der
schaukelnden jungen Frau auf seinem Unterleib stieg in ihr hoch und machte sie
wütend.
Ich hätte Ihnen dank meiner einschlägigen Erfahrungen mit Ihnen ja viel zugetraut,
sagte sie grimmig, aber dass Sie sich bei solchen Veranstaltungen aufhalten, hat jetzt
sogar mich überrascht. Es war ungerecht, er hatte sie ja vor den anderen gerettet, aber
sie war so enttäuscht, dass sie ihn am liebsten geschlagen hätte.
In der Tat? Er zog auf diese kühle, mokante Art die Augenbrauen hoch und
betrachtete sie von oben bis unten. Dann waren wir also beide sehr überrascht. Ich
hätte Sie dort nämlich auch nicht gerade vermutet.
Sophie biss sich auf die Lippe. Daran hatte sie nicht gedacht. Sie hatte bis zu diesem
Moment als selbstverständlich angenommen, dass er wusste, wer unter dieser Haube
steckte, und ihr zu Hilfe geeilt war. Das heißt, Sie wussten gar nicht, dass ich es war?
Natürlich nicht! Woher sollten Sie auch! Wie einfältig sie doch war! Lord Edward
ebenfalls Gast hatte sich diese ebenso blinde wie dumme Kuh geschnappt und war
sicherlich enttäuscht gewesen, dann sie unter der schwarzen Kapuze zu sehen.
Zweifellos hatte er eine andere erhofft. Eine, mit der er sich, Jonathans Vorschlag
folgend, in ein Zimmer zurückgezogen hätte. Und dann riss sich seine Beute den Sack
vom Kopf und entpuppte sich als Sophie McIntosh! Aber warum tat diese Erkenntnis
nur so lächerlich weh?
Seien Sie keine Närrin. Lord Edwards Stimme verlor zum ersten Mal den kalten
Beiklang und ein vertrauter, amüsierter Unterton schwang darin mit. Natürlich wusste
ich, dass Sie es sind. Ich hatte Sie schon erkannt, als Sie an der Rückseite von Henrys
Kutsche hockend an mir vorbeifuhren. Was ich übrigens recht originell fand.
Außerdem, setzte er mit Bedacht hinzu, sind Sie vermutlich die einzige Frau im
Umkreis von zweihundert Meilen, die auf Schottisch flucht. Und zudem darf ich Sie
auch darauf hinweisen, dass Sie diejenige waren, die diese Kapuze fortgerissen hat.
Wäre es nach mir gegangen, hätte niemand geahnt, wer darunter steckt.
Sie haben mich schon vorher gesehen? Sophie griff nach dieser Möglichkeit wie
nach einem Anker.
Allerdings. Ich war zu einer Abendgesellschaft bei Mrs. Summers geladen und war
dorthin unterwegs, als Henrys Kutsche mit Ihnen hinten drauf vorbeikam. Was mich
bewogen hat, meinem Kutscher die Anweisung zu geben, Ihnen nachzufahren. Ich
hoffe, Sie halten mich jetzt deshalb nicht für aufdringlich.
Sophie überhörte den offenen Spott. Er war ihr lieber als der kalte, zurückhaltende
Ton, den sie bei Lord Edward nicht gewöhnt war, und der sie einschüchterte und
zugleich kränkte. Schwören Sie mir, dass Sie zu Mrs. Summers unterwegs waren und
nicht zu diesem Fest wollten?
Er hob die Augenbrauen. Wie bitte?
Ich muss das wissen. Captain Hendricks hat mir erzählt, dass Sie Gast bei seinen
Veranstaltungen sind. Stimmt das?
Sekundenlang lastete Schweigen zwischen ihnen. Weshalb müssen Sie das
wissen?, fragte Lord Edward endlich.
Weil ich Ihnen sonst nicht mehr vertrauen kann! Jetzt war es draußen. Die
Wahrheit, wenn auch unbedacht rausgerutscht. Sophie hielt den Atem an.
Lord Edwards Blick ruhte nachdenklich auf ihr. Endlich sagte er: Er hat Sie belogen,
Sophie, ich war heute das erste Mal bei einer solchen Geselligkeit anwesend und das
auch nur, weil ich schon die böse Vorahnung hatte, dass Sie sich wieder einmal in
Schwierigkeiten bringen.
Sophie schloss die Augen und atmete tief durch. Gott sei Dank. Als sie die Augen
wieder öffnete, bemerkte sie, dass er sie beobachtete.
Ist Ihr Bild von mir
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