Suesse Versuchung
Jonathan etwas unternehmen, noch dich zwingen,
vernünftig zu sein. Ich kann dich nur bitten, Melinda. Er sah sie eindringlich an, dann
erhob er sich seufzend, wandte sich um und nahm seinen Hut und seine Handschuhe
vom Tischchen neben der Tür.
Du gehst schon? Melinda erhob sich rasch. Weshalb bleibst du nicht länger? Ich
lasse ein kleines Essen für dich vorbereiten. Edwards Besuch war ihr unangenehm
gewesen, aber nun wollte sie, dass er blieb. Sie war so alleine in London. Die wenigen
Familienmitglieder konnte sie nicht leiden, ihre Mutter lebte schon lange in Bath und
Williams Familie wich sie aus. Edward war der Einzige, an dem ihr Herz wirklich
hing. Jetzt, nach James Tod umso mehr. Aber Edward war davor schon ihr
Lieblingsbruder gewesen. Kein Wunder, sie waren gleich alt, sogar in der gleichen
Stunde geboren.
Nein, ich muss wieder zurück. Ich bin nur nach London gekommen, um mit dir zu
sprechen und dich zu warnen. Ich mag es nicht, wenn die Polizei meine Schwester in
einem Atemzug mit Schmugglern nennt.
Aber Jonathan
, begehrte Melinda auf.
Edward hob die Hand. Ich weiß, was und wer Jonathan ist. Und das macht mir
genauso viel Angst. Wenn nicht noch mehr. Aber, fuhr er nach einer kleinen Pause
fort, es gibt noch einen anderen Grund, weshalb ich gekommen bin. Sein
Gesichtsausdruck und sein Tonfall veränderten sich so sehr, dass Melinda ihn verblüfft
ansah. Ich werde demnächst heiraten und wollte dir Gelegenheit geben, mir zu
gratulieren.
Melinda war vollkommen verwirrt. Dieser Themenwechsel war ihr zu schnell
gekommen. Hei
raten? Du? Jetzt erst fiel ihr der beiläufige Tonfall auf. Sie
kannte ihren Bruder gut. Wenn er so betont gleichgültig sprach, dann war dies ein
Zeichen dafür, dass ihm das Thema sehr nahe ging. Melinda konnte vor Überraschung
nichts hervorbringen. Aber dann fühlte sie einen unsinnigen Schmerz. Edward hatte
vor zu heiraten. Eine Fremde, die Melinda den letzten Menschen wegnahm, der ihr
noch blieb, wenn sie Jonathan aufgab.
Er räusperte sich, dann sagte er leichthin: Es kommt auch für mich überraschend.
Melinda hatte sich gefasst. Sie lief auf Edward zu und griff nach seinen Händen.
Wer ist sie denn? So sprich doch! Es gelang ihr sogar zu lachen. Lass dir doch
nicht alles so aus der Nase ziehen!
Sie heißt Sophie McIntosh. Sie ist Schottin. Edward sah drein, als würde das alles
erklären. Melinda sah, dass sich seine Stirn gerötet hatte. Seine Augen waren anders
als zuvor. Sie wirkten lebendiger, strahlender. Du wirst dich nicht an die Familie
erinnern, aber Mutter tauscht noch so ein- oder zweimal im Jahr Briefe mit Sophies
Mutter aus. Sophie ist derzeit bei ihrer Tante in Eastbourne zu Besuch. Sein Blick
wurde zärtlich und Melindas Herz schwerer und zugleich auch leichter. Ihr Bruder war
verliebt.
So hattet ihr schon früher Kontakt?
Nein. Nein, nein. Edward räusperte sich abermals. Das tat er nicht oft, nur wenn er
verlegen war. Und das kam bei ihm selten vor. Ich habe sie vor einiger Zeit
kennengelernt. Bei einem Ball, den Mrs. Summers Tochter gegeben hat.
Oh, Mrs. Summers kenne ich. Eine sehr gediegene Familie und eine reizende alte
Dame. Energisch, aber liebenswert.
Nun, Edward zuckte mit den Schultern, da habe ich Sophie kennengelernt. Und
dann hat eben eins das andere ergeben und in fünf Tagen heiraten wir.
Melinda war sprachlos. Normalerweise dauerte in ihrer Gesellschaftsschicht die
Verlobungszeit einige Monate. Edward! Hast du sie verführt?!
Wie? Nein! Unfug. Natürlich nicht.
Aber weshalb denn dann diese überstürzte Heirat?
Edward dachte nach. Dann zuckte er abermals mit den Schultern. Vielleicht, weil
man im Leben das packen sollte, an dem einem liegt, sagte er endlich.
Melinda sah tief in seine Augen. So wie ich Jonathan?
Er atmete durch. Vielleicht. Und wäre da nicht Jonathans gefährliches Geschäft, und
würde ich auch nur im Entferntesten annehmen, dass er dich heiraten und auf dich
aufpassen will, dann wäre ich der Letzte, der dich nicht dabei unterstützen würde,
Mel.
Melinda warf sich ihm an den Hals und presste ihr Gesicht an seine Schulter. Ich
weiß, mein Lieber. Und ich bin auch vernünftig. Und ich wünsche dir, dass du mit
dieser Schottin glücklich wirst. Nicht, dass ich sie mir nicht genau ansehen werde!
Sehr genau! Und wehe, sie ist nicht gut genug für
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