Sueße Versuchung
verzog den Mund. »Leise doch. Wir haben hier keine weltlichen Namen.
Heute ist er der Faun.«
»Er ist ein angesehener Einwohner der Stadt«, zischte Sophie. »Was glauben Sie, würde er sagen, wenn ich jetzt auf der Stelle zu ihm gehe und ihm alles erzähle?«
Jonathans Blick wurde abschätzend. »Was glauben
Sie
, würde er sagen? Glauben Sie, dass es ihm recht wäre, von Ihnen hier angesprochen zu werden? Vor all den anderen, die ebenfalls inkognito bleiben wollen? Wird er Ihnen glauben, dass Sie nur hier sind, um Henry zu helfen? Oder wird er viel eher morgen bei Ihnen auftauchen und Henry mit den Bütteln holen? Schon weil er auf Sie und ihn wütend ist?«
Sophie musste zugeben, dass dieses Argument nicht von der Hand zu weisen war. Es war ein denkbar ungünstiger Moment, diesem spärlich bekleideten Mann dort drüben mit Schmuggelangelegenheiten aufzuwarten. Aber Sophie hatte etwas anderes begriffen. »Sie laden also all diese Leute ein, um damit ein Druckmittel gegen sie zu haben«, stellte sie fest.
»Kluges Mädchen«, erwiderte Jonathan anerkennend. Seine Hand lag plötzlich auf ihrem Arm, glitt aufwärts über ihre Schulter, ein Finger lief über ihren Hals hinauf.
Sophie hatte angestrengt versucht, andere Besucher zu erkennen, stieß Jonathan jetzt jedoch verärgert weg. »Fassen Sie mich nicht an!«
»Anfassen gehört aber ebenfalls zum Spiel. Außerdem«, er lehnte sich lässig mit der Schulter gegen die Wand, »sind Sie doch kein Kind mehr, meine Liebe, sondern eine erwachsene Frau. Anfang zwanzig, nicht wahr? So sollten Sie sich auch benehmen.
Sie versäumen viel Spaß im Leben, wenn Sie das nicht tun.« Er deutete mit dem Kopf zum Saal hin. »Sehen Sie? Das sind fast alles Damen der Gesellschaft. Sogar Lord Edward gibt uns hin und wieder die Ehre.«
»Lord Edward …?« Sophie wurde heiß und kalt zugleich. Sie hatte Lord Edward einen Wüstling genannt, aber niemals angenommen, dass er bei so etwas mitmachen könnte. Sophie fühlte, wie sich bei diesem Gedanken das Zimmer um sie drehte. Sie musste fort. Wenn sie Lord Edward dabei ertappte, wie er sich wie dieser Lustmolch dort drüben mit drei nackten Bacchantinnen zugleich vergnügte, würde sie zu schreien beginnen.
Hendricks wirkte belustigt. »Aber gewiss doch. Er genießt es von Zeit zu Zeit, sich hier ein wenig von der steifen Atmosphäre Londons oder der adeligen Gesellschaft zu erholen. Da ist nichts dabei. Und jetzt«, der belustigte Ausdruck wich aus seinem Gesicht, machte einem kalten Lächeln Platz, »würde ich vorschlagen, dass Sie ebenfalls mitspielen.«
Sie erinnerte sich an die schwarzhaarige Frau auf den Klippen. War sie etwa ein Opfer dieser Spiele geworden? Hatte Harrington sie deshalb verfolgt? »Ich werde mich bestimmt nicht ausziehen und dann nackt über die Klippen laufen wie diese Frau, die Sie und Lord Edward verfolgt haben!«, sagte sie aus dieser Überlegung heraus.
»Oh, Sie meinen, das wäre eine schlechte Verliererin bei einem meiner Spiele gewesen. Nein, nein, meine Liebe. Die Dame lag, bevor sie auf die Idee kam davonzulaufen, sehr warm und zufrieden in meinen Armen. Und jetzt, süße kleine Sophie, werden wir etwas für Ihre weitere Erziehung tun. Wir werden Sie in die Welt der Lüste und der Verführung einführen.«
»Den Teufel werden Sie …«
Er hob den Zeigefinger. »Nicht ausfallend werden, Süße, sonst gibt es eins drauf. Wir haben hier eigene Kammern, wo aufmüpfige Mädchen wie Sie eines Besseren belehrt werden. Und falls Sie das nicht überzeugen sollte – denken Sie immer schön an den lieben Vetter Henry und an die Schuldscheine. Das Spiel ist so simpel. Sie bekommen die Augen verbunden und müssen jemanden erhaschen und die Person beim Namen nennen. Dann haben Sie gewonnen.« Er musterte sie eingehend. »Soll ich den Einsatz erhöhen, um es für Sie interessanter zu machen? Eine Person, die Sie erkennen, gegen Henrys sämtliche Schuldscheine? Nun?«
»Gemeiner Erpresser!« Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt. Am liebsten hätte sie auf ihn eingeschlagen. Aber es hatte keinen Sinn. Hier waren zu viele, die auf seiner Seite standen. Und dann war da wirklich noch die Möglichkeit, dass sie auf diese Weise an die Schuldscheine kam. Und wenn nicht – flüchten konnte sie ohnehin nicht mehr. Jetzt musste sie es durchstehen.
»Spielen Sie mit, Sophie. Machen Sie mir doch die kleine Freude.« Er lächelte charmant. »Ich verspreche Ihnen, Sie werden nicht nackt aus dem Haus laufen. Nur
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