Süße Worte, heißes Flüstern
jetzt, verdammt noch mal, wollte er sich an etwas anderes erinnern als an die Bäckerei und den Drugstore. Seth kniff die Augen zusammen. Was war in jener unglückseligen Nacht geschehen? Henry Barnes hatte es ihm natürlich berichtet, aber was er da gehört hatte, war schwer zu glauben. Und selbst, wenn er alles jetzt in dieser Akte, die der Anwalt ihm mitgegeben hatte, schwarz auf weiß nachlesen konnte, war es schwer zu akzeptieren.
Seth ging zurück ins Zimmer und setzte sich an den Ecktisch, auf dem die Akte lag. Er schlug sie auf und fand als Erstes die Fotokopie eines Zeitungsausschnitts, den er inzwischen fast schon auswendig kannte.
Fünfköpfige Familie im Gewittersturm bei Autounfall getötet. Jonathan und Norah Blackhawk, langjährige Einwohner von Wolf River, und ihre drei Kinder, Rand (9), Seth (7) und Elizabeth (2), wurden in der Nacht zum Sonntag Opfer eines tragischen Unfalls, als Jonathan Blackhawk in einem schweren Unwetter im Cold Springs Canyon die Kontrolle über den Wagen verlor
.
Jedes Mal, wenn Seth das las, wenn er die Namen gedruckt vor sich sah, lief ihm ein Schauder über den Rücken. Der Zeitungsartikel berichtete über den Gewittersturm und zitierte einen Unfallarzt, der alle Insassen des Wagens für tot erklärt hatte. Die unmittelbare Familie bestünde jetzt nur noch, hieß es hier weiter, aus William Blackhawk, dem Bruder von Jonathan Blackhawk.
William Blackhawk, sein eigener Onkel. Er hatte den ganzen Betrug eingefädelt. So wie Henry Barnes ihm die Sache erklärt hatte, hatte William Blackhawk seine Brüder Jonathan und Thomas dafür gehasst, dass sie sich beide Frauen außerhalb des Reservats genommen hatten. Obgleich sie in derselben Stadt wohnten, hatte William jeden Kontakt zu ihnen und ihren Familien strikt abgelehnt.
Seth konnte sich an Onkel William nicht erinnern. Es kam ihm nur ungeheuerlich vor, dass jemand in seinem Hass so weit gehen konnte, drei Kinder der eigenen Familie, die gerade elternlos geworden waren, anstatt sich selbst um sie zu kümmern, voneinander zu trennen, ihnen vorzulügen, nicht nur ihre Eltern, sondern auch ihre Geschwister seien tot, und sie dann zur Adoption freizugeben.
Doch Hass war es wohl nicht allein gewesen. Seth wusste von Berufs wegen, dass das häufigste Motiv für ein Verbrechen außer Leidenschaft Habgier war. Und die dürfte auch im Fall von William Blackhawk im Spiel gewesen sein. Indem er die Kinder losgeworden war, war das Erbe der Familie an ihn allein gefallen. Land und, wie Seth inzwischen erfahren hatte, ein nicht unbeträchtliches Vermögen, das ihr Großvater ihnen hinterlassen hatte. Seth bedauerte geradezu, dass sein Onkel William vor zwei Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war, und er deshalb nicht mehr mit ihm abrechnen konnte.
Seth klappte die Akte zu. Die wesentlichen Fakten hatte er ohnehin längst im Kopf.
Spencer Radick, damaliger Sheriff von Wolf River, war der Erste am Unfallort gewesen. Er war es auch gewesen, der William Blackhawk an die Unfallstelle gerufen hatte. Sheriff Radick hatte die Stadt zwei Monate später verlassen und war seitdem verschwunden.
Rosemary Owen, die Haushälterin von William Blackhawk, war diejenige, die seinen älteren Bruder Rand noch in der Nacht des Unfalls aufgenommen hatte. Bei ihr hatte Rand gewohnt, bis er von einem Ehepaar in San Antonio adoptiert wurde. Sechs Wochen nach dieser Adoption hatte Rosemary Owen ihre Stelle bei William Blackhawk gekündigt und war nach Vermont gezogen. Sie war, wie man herausgefunden hatte, vor sechs Monaten an Lungenkrebs gestorben.
Leon Waters, ein als windig verrufener Anwalt aus Granite Springs, hatte für die ungesetzlichen Adoptionen aller drei Kinder gesorgt. Gleichzeitig hatte er die gefälschten Totenscheine für die Kinder beschafft.
Seth konnte sich daran zwar nicht mehr erinnern, wusste nun aber, dass er unmittelbar nach dem Unfall zunächst zu Waters gekommen war, bevor er kurz darauf an die Grangers vermittelt worden war. Waters hatte, kurz nachdem die Adoptionen in die Wege geleitet waren, seine Kanzlei in Granite Springs geschlossen und galt seitdem ebenfalls als verschollen.
William Blackhawk hatte sich das Schweigen all dieser Beteiligten erkauft, und der schmutzige Handel wäre vielleicht nie ruchbar geworden, wäre nicht nach Rosemary Owens Tod deren Tagebuch aufgetaucht, in dem detailliert alle Transaktionen beschrieben waren. Das Tagebuch war bei dem einzigen Mitglied der Blackhawk-Familie gelandet, das
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