Suesser Als Blut
unser Kleiner«, höhnte sie. »Aber vielleicht wird er ja munter, wenn Sie mit ihm allein sind.«
Allmählich ging sie mir wirklich auf die Nerven. »Bestimmt!«, entgegnete ich mit einem zuckersüßen Lächeln.
»Okey-dokey.« Sie wies mit einer ausholenden Armbewegung auf die Zelle. »Unter dem Anstrich ist’ne Silbergrundierung: Wände, Boden, Tür und Decke. Versuchen Sie also gar nicht erst, Ihren magischen Schnickschnack auszuprobieren.«
Eine Silbergrundierung? Erstaunlich. Kostete ein Vermögen. Die neue Chefin musste tatsächlich ziemlich einflussreich sein, wenn sie das durchgekriegt hatte. Nicht mal in der HOPE-Klinik gab’s solche magiefreien Räume. Aber es erklärte zumindest, warum ich keine Magie sehen konnte: das Silber blockte alles ab. Und deshalb fühlte sich die Luft auch wie Blei in meiner Lunge an. Ich habe Silber noch nie gut vertragen, in den letzten Jahren weniger denn je.
Constable Janet hielt eine Art Fernbedienung hoch und schlug mit ihrem Schlagstock an die Stahltür. »Einfach draufhauen, und ich komme und lasse Sie raus.« Wenn du Glück hast , verriet mir ihr dreckiges Grinsen. »Also, dann lasse ich euch Turteltäubchen jetzt mal allein.« Sie drückte einen Knopf auf ihrer Fernbedienung, und die Tür glitt auf.
Mein Magen zog sich zusammen. Die Arme verschränkt, trat ich zögernd auf den reglosen Vampir zu. War das wirklich eine so gute Idee? Er mochte hilflos aussehen, aber das hieß noch lange nicht, dass er’s auch war.
»Constable?«, rief ich über die Schulter.
Sie blieb stehen und schaute mich böse an. »Ja, was?!«
Ich grinste sie an, als würde ich etwas wissen, das sie nicht wusste. »Sie vergessen doch hoffentlich nicht, die Überwachungskamera auszuschalten?«
»Nein«, fauchte sie und murmelte dann so laut, dass ich es kaum überhören konnte: »Vampirschlampe.«
Die Tür glitt mit einem leisen Zischen hinter ihr zu.
Ich schnaubte. Wenn die wüsste, wie Recht sie damit hatte! Aber ich hatte nicht die Absicht, mein Blut zu Markte zu tragen. Nicht wenn ich es irgend verhindern konnte.
»Er hat gesagt, dass du kommen würdest.« Bobbys Stimme klang eingerostet, als habe er sie lange nicht mehr benutzt.
Mein Puls schnellte hoch. Ich fuhr zu ihm herum, versuchte, durch Willenskraft meinen Herzschlag zu verlangsamen. »Wer hat gesagt, dass ich kommen würde?«
Bobby richtete sich auf und schlang die Arme um seine Knie. »Mein Meister.« Er hob den Kopf und musterte mich. »Er hat gesagt, du würdest helfen.«
Ein Schreck durchzuckte mich: Ich kannte ihn. Ich hatte Recht gehabt mit dem »verlorenen Jungen«; ich hatte Bobby vor vier Jahren schon einmal getroffen, in genau derselben Haltung, wie er jetzt vor mir saß. Und er hatte genau dasselbe zu mir gesagt.
»Sie ist da drinnen.« Er hob langsam den Arm und wies nach hinten, auf die blanke Wand.
Meine Nackenhaare sträubten sich.
»Sie ist im Keller.« Er ließ mutlos die Schultern sinken.
Ich starrte ihn fassungslos an.
Entweder, er hielt dies für ein Vorsprechen der Psychiatrie-Laienspielgruppe, oder …
»Der Meister hat gesagt, ich soll hierbleiben und dir sagen, wo sie ist.«
… oder Bobby befand sich irgendwo in der Vergangenheit und erlebte den Vorfall noch einmal.
Ein Vorfall, der sich unwiderruflich in mein Gedächtnis eingebrannt hatte.
Bobby war damals noch kein Vampir gewesen, nur eines ihrer blutspendenden Schoßhündchen. Er hatte die ganze Nacht lang Wache gehalten, nachdem das Mädchen gefunden worden war, hatte auf den Morgen gewartet. Und auf mich.
»Ich hab versucht, sie rauszuholen, als sie weg waren«, sagte er kläglich. »Aber sie hat angefangen, zu schreien …«
Es war ein kalter Januartag gewesen.
Ich holte tief Luft und schlang die Arme um meinen Oberkörper. Ich dachte nur ungern daran zurück.
Die Wintersonne war als kalte, weiße Scheibe am Horizont aufgegangen, der Himmel war von roten Striemen durchzogen gewesen wie eine unheilvolle Warnung. Das Haus war ein ekelhaftes Rattennest – ein Fang-Gang-Nest -, und es lag im Herzen von Sucker Town. Beim Gedanken an den Gestank nach Urin, frischem Blut und Folter wurde mir heute noch schlecht.
Bobbys Miene war ein Spiegelbild meiner Empfindungen.
Ich war in den Keller gerannt, um sie zu holen. Sie hatte nicht mehr geschrien, nur noch gewimmert. Aus ihren großen, regenbogenfarbenen Augen waren eisige Tränen gekullert, die wie Glas auf dem Boden zersprangen. Es hatte ein Weilchen gedauert, aber schließlich
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