Suesser Als Blut
hatte sie sich von mir hochheben lassen, hatte sich wie ein ängstliches Tierchen an mir festgeklammert. Ich hatte sie in meinen Mantel eingewickelt, die Blutstropfen zugedeckt, die wie obszöne rote Perlen überall auf ihrer grünen Haut zu sehen waren. Blutergüsse gab es nicht. Dafür hatten ihr die Bastarde nicht genug Blut gelassen.
»Wie konnten sie ihr das antun?«, flüsterte Bobby. »Siobhan ist doch noch so klein, ein Kind.«
Siobhan war Micks Schwester – genauer gesagt, seine Halbschwester, denn sie war ein reinrassiger Leprechaun , eine irische Koboldart. Sie war zwölf Jahre alt gewesen und aus Irland gekommen,
um ihren großen Bruder zu besuchen. Sie war zu jung gewesen, um sich zu wehren, als die Fang-Gang eines Nachts ins Haus eindrang und sie aus dem Bett entführte. Sie war bereits fünf Tage verschwunden gewesen, als Mick sich endlich an mich gewandt hatte. Wäre sie ein Mensch gewesen, wäre jede Hilfe zu spät gekommen – Menschen überlebten gewöhnlich nicht einmal die erste Nacht.
Aber magische Wesen halten so viel länger durch.
Und obwohl ich wusste, dass das Ganze ein Insiderjob gewesen sein musste – kein Vampir hätte ohne Micks Erlaubnis die Schwelle seines Hauses überschreiten können -, und obwohl ich wusste, dass Mick nur zu mir geschickt worden war und nicht aus eigener Initiative gekommen war – auch wenn er noch so erbärmlich um Hilfe flehte -, hatte ich mich auf den Handel eingelassen.
Siobhan war die erste Fae, die ich retten konnte. Ich hatte es davor zwar schon mehrmals versucht, die Opfer aber immer zu spät gefunden. Seitdem hatte ich öfter Erfolg gehabt. Aber ich hatte jetzt ja auch einen einflussreichen Informanten.
Und dieser Handel, den ich damals abgeschlossen hatte, war der Grund, warum ich nun hier unten mit einem Vampir eingesperrt war, der angeblich seine Freundin umgebracht hatte. Und warum selbiger Vampir mich auf diesen unerfreulichen Ausflug in die Vergangenheit mitnahm.
Es war eine Einladung.
Was war los mit den Leuten? Griff denn keiner mehr zum Telefon? Eisige Luft strich über meine Haut. Ich wich zurück und lehnte mich an die Tür. War’s das, oder hatte Bobby mir noch mehr »auszurichten«? Er wiegte sich vor und zurück. Seine grauen Augen waren glasig, der Mund stand halb offen, sodass ich die Spitzen seiner Fangzähne sehen konnte. Sicher, er hatte das große Los gezogen, war in den letzten vier Jahren vom blutspendenden Schoßhündchen zum blutsaugenden Schoßhündchenstreichler
avanciert. Aber er war dennoch nichts weiter als eine Marionette seines Meisters, der ihn nach Belieben tanzen lassen konnte. Es würde Jahrzehnte dauern, bis Bobby seine Autonomie erhielte.
Ich fragte mich unwillkürlich, ob er gewusst hatte, was auf ihn zukam, als er »die Gabe« annahm? Oder war er, gut aussehend, wie er war, blind in die Falle getappt? Armes Schwein. Aber er war immer noch besser dran als Melissa, seine verblichene Freundin. Er lag nicht im Leichenschauhaus. Noch nicht.
Wieder fuhr ein eisiger Luftstoß über mich hinweg. Ich rieb mir frierend die Unterarme. Was war los? Warum wurde es auf einmal so kalt? Ich warf einen ratlosen Blick zur Decke, wo sich die Gitter der Klimaanlage befanden.
O mein Gott .
Wischmopp.
Der fiese Mops hatte die Heizung ab- und die kalte Luft aufgedreht! Die Hitze abgedreht, die Bobby, the Vampire zahm machte. Biest! Ich klopfte laut an die Stahltür. Zeit, von hier zu verschwinden.
Eine Bewegung aus den Augenwinkeln ließ mich herumfahren. Bobby saß nicht länger an die Wand gelehnt. Er hatte sich auf Hände und Knie aufgerichtet. Sein Kopf hing herunter.
Nicht gut. Gar nicht gut.
Ich schlug mit der flachen Hand an die Stahltür.
Mit Bewegungen, die weit flüssiger waren als zuvor, begann Bobby auf mich zuzukriechen.
Ich trat mit dem Fuß gegen die Tür, dass es nur so donnerte. Das musste die dicke Trine doch hören, oder?
Zwei Schritte von mir entfernt hob er den Kopf und schnupperte.
Mein Herz begann zu hämmern. Ich machte mich bereit, spreizte die Beine, ließ die Arme locker an den Seiten herunterhängen. Vielleicht musste ich ja doch zum Abendessen bleiben.
Noch ein Schritt …
Ganz ruhig . Ich durfte ihn nicht noch mehr erregen. Ich versuchte, meinen Pulsschlag zu verlangsamen, doch es wollte nicht wie sonst funktionieren. Die silbergeladene Atmosphäre drückte mir die Lunge ab, und ich merkte, wie ich in Panik zu geraten drohte. Mein Puls dröhnte in meinen Ohren. Jetzt komm schon,
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