Suesser Als Blut
dass Freddie sich die Haare ausreißt, wenn du nicht bald wieder da bist.«
Sie bückte sich und angelte ihre Schuhe unter dem Schreibtisch hervor. »Freddie hat’ne Glatze.«
»Da siehst du, was ich meine.«
»Haha.« Sie drohte mir mit ihren Flipflops. Dann sagte sie flehend: »Du wirst doch hingehen, oder? Und rausfinden, wer Bobbys Freundin umgebracht hat?«
»Lass mich überlegen. Soll ich einen Vampirnachtclub besuchen, wo jeder Blutsauger sabbernd hinter mir her ist, während ich damit beschäftigt bin, einen Mörder zu suchen, der mich
umbringen will?« Ich betrachtete sie sarkastisch. »Ich bin doch nicht blöd, Katie.«
Sie wurde ernst. »Aber ist es nicht möglich, dass der Killer sowieso schon hinter dir her ist und dich töten wird, wenn du ihn nicht vorher erwischst?«
Verdammt . Sie hatte Recht. Wie sagt man so schön: Angriff ist die beste Verteidigung. Das sollte ich mir vielleicht zu Herzen nehmen.
»Du hast mehr Grips, als dir guttut, Kleine.« Ich nahm ihr die silbernen Einladungen weg und ließ sie in meiner Handtasche verschwinden.
Sie kaute auf ihrer Unterlippe. »Du wirst doch bestimmt vorsichtig sein, oder, Genny?«
»Wie ein Vampir bei Gewitter.«
23. K apitel
M it klopfendem Herzen stand ich auf dem Leicester Square. Die bunten Reklameschilder der Nachtclubs, Kneipen, Kinos und Restaurants blinkten wie gigantische Koboldausweise. Es war zwei Stunden vor Mitternacht, und auf dem Platz wimmelte es von Leuten. Das Stimmengewirr summte in meinen Ohren. Ein Geruch nach Popcorn und freudiger Erregung lag in der Luft. Die laue Abendluft dieses außergewöhnlichen Sommers umhüllte mich wie eine samtweiche Decke. Ich tastete vorsichtig nach den Einladungen in meiner Jackentasche und blieb – für mein Gefühl – beunruhigend nahe vor dem bedeutendsten Vampirnachtclub von London stehen.
Das Blue Heart war früher ein Kino gewesen. Die Fassade war beinahe unverändert. Der Name des Clubs prangte in sechzig Zentimeter hohen Silberlettern über dem Eingang. Und anstelle des »a« in »Heart« pochte ein überdimensionales blaues Herz, als wäre es etwas Lebendiges. Die Hauptattraktionen des Clubs waren auf riesigen Postern abgebildet wie Filmstars: Mr. September, in der Tracht eines elisabethanischen Höflings mit breiter Tellerkrause, in der Mitte Mr. August, der derzeitige King of Calendar, in der Aufmachung eines Kreuzritters aus dem zwölften Jahrhundert, und schließlich Mr. Juni in seiner (kratzigen) Soldatenuniform – offensichtlich in Vertretung des unglücklicherweise verhinderten Mr. Oktober.
Um Katies überlegene Kenntnisse ein wenig wettzumachen, hatte ich eine Stunde lang in den Websites des Clubs herumgestöbert. Außerdem hatte ich meinen Kleiderschrank dreimal auf den Kopf stellen müssen, bevor ich mich für ein Outfit entscheiden
konnte. Aber ich war nicht unzufrieden: schwarzes Lycra-Haltertop, das nur meine Front bedeckte und meinen Rücken praktisch nackt ließ, dazu einen schwarzen Lycra-Wickelrock. Es war eines von meinen Sucker-Town-Outfits. Aber da nackte Haut auf Vampire wirkt wie ein T-Shirt, auf dem »Beiß-mich« steht, hatte ich das Ensemble mit einem knielangen bronzefarbenen Seidenmantel entschärft. Meine Schuhe passten perfekt dazu: bronzefarbene Vintage-Westwoods, mit fünf Zentimeter hohen Plateausohlen und zwölf Zentimeter hohen nadelspitzen Metallabsätzen. Nicht gerade gut für die Füße, zugegeben, aber welche Frau ist nicht bereit, für ein Paar Killer-Heels das eine oder andere Opfer zu bringen?
»Hm-mm- mm : Du riechst ja zum Anbeißen, Schätzchen«, schnurrte eine Altstimme in meinem Rücken.
Mein Puls machte einen Satz, ich wich einen Schritt zurück und fuhr herum. Vor mir stand Rio, die Geschäftsführerin des Blue Heart. Ich hatte sie auf den Publicityfotos der Club-Website gesehen. Ihre kurzgeschorenen, weißblau gefärbten Locken waren unverkennbar. Aber – mein Gott – die Frau war unglaublich groß, was ich auf den Fotos natürlich nicht hatte erkennen können. Sie musste an sich schon mindestens eins fünfundachtzig sein, aber ihre elektrikblauen Stiefel, die ihr bis zu den Oberschenkeln reichten, fügten noch etwa zwölf Zentimeter zu ihren langen Beinen hinzu. Ihre blauen Leder-Hotpants sahen aus, als wären sie auf ihre schmalen Hüften aufgesprayt worden. Sie blickte grinsend auf mich herab, ihre riesigen, lavendelblauen Augen funkelten amüsiert in ihrem Café-au-Lait-Gesicht. Sie trug eine transparente Bluse, die sie in
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