Suesser Als Blut
erzittern.« Sie warf mir einen raschen Seitenblick zu und schaute gleich wieder zur Bühne.
Das Herz schlug mir bis zum Hals. Eine Komödie erwartete mich hier bestimmt nicht.
»Das Theater scheint ja recht beliebt zu sein«, bemerkte ich gespielt beiläufig. »Geschäfte laufen gut, nehme ich an.«
Rio legte den Finger an die Lippen. »Psst. Gleich beginnt der nächste Akt.«
Ich Glückspilz. Da war ich ja gerade noch rechtzeitig gekommen.
Nervös betrachtete ich das Publikum. Dabei tastete ich verstohlen nach der silbernen Einladung in meiner Tasche. Die Tische waren überwiegend mit Vampiren besetzt, dazwischen ein paar Menschen. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte ich die meisten davon von meinen Ausflügen nach Sucker Town. Sie alle gehörten zum Golden-Blade-Clan, und soweit ich wusste, weigerten sie sich noch immer, auf den VIP-Zug aufzuspringen. Was, zum Teufel, machten sie also hier?
Die Musik schwoll an, und eine junge Frau stolperte von rechts auf die Bühne. Die Augen panisch aufgerissen, krallte sie sich in ihr hauchdünnes Nachthemd. Ihre dunklen, lockigen Haare fielen offen bis zu ihren Hüften. Das Publikum beugte sich wie auf Kommando vor und starrte sie an, wie sie bibbernd vor Angst im künstlichen Nebel stand, gebannt vom Strahl eines Scheinwerfers, der direkt auf sie gerichtet war.
Ich stieß einen müden Seufzer aus und sagte leise: »Ihr macht Witze, oder? Das ist doch ein alter Hut. Die Friedhofsszene ist doch schon bis zum Erbrechen durchexerziert worden. Ich hätte euch ein bisschen mehr Fantasie zugetraut.«
»Wer braucht schon Fantasie?« Rios Fänge blitzten.
Hm. Ich schaute mir die junge Frau auf der Bühne ein wenig genauer an. Schweißtröpfchen glänzten auf ihrem angstverzerrten Gesicht. Sie stolperte ein paar Schritte in den Friedhof hinein und fiel dann schwer neben einem Steinsarg auf die Knie. Bebend vor Angst rollte sie sich zusammen. Die Zuschauer, die sich sichtlich an ihrer Angst weideten, schien sie überhaupt nicht wahrzunehmen.
Shit. Für sie war das alles real.
»Ihr habt ihr eine Gedankenfessel angelegt, stimmt’s?« Ich ballte die Fäuste. »Ich dachte, Zwangsausübung wäre verboten. Nur Freiwillige, schon vergessen?«
Rio stieß ein heiseres Kichern aus, das mich erschaudern ließ. Auf der Bühne war mittlerweile ein Vampir mit langen, platinblonden Haaren und dramatisch flatterndem Phantomder-Oper-Cape aufgetaucht. Da kein Wind wehte, musste das ein raffinierter Vampirtrick sein. Er trug ein rotes Dichterhemd, das im Scheinwerferlicht leuchtete. Sein langes glattes Haar mit den klassischen Geheimratsecken war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und mit seinem düster-brütenden Blick und den dünnen, grausamen Lippen war er einfach perfekt für die Rolle.
Ich kannte ihn.
Es war niemand anders als Rüschenhemd, der Anführer der Fang-Gang.
Mein Puls schnellte hoch.
Rüschenhemd riss den Rachen auf und ließ alle vier Fangzähne blitzen. Das Publikum zischte begeistert.
»Welch süßes Blut durch deine Adern fließt.« Rio streckte die Hand nach mir aus. »Komm näher, kleine Sidhe. Unter der Folter deines köstlichen Dufts werde ich das Ganze noch viel mehr genießen.«
Ich beachtete sie nicht. Dennoch – sie war für meinen Geschmack viel zu gut gelaunt. Und das konnte nur eines bedeuten: Das Mädchen hatte eine Einverständniserklärung unterzeichnet. Wahrscheinlich sogar mit ihrem eigenen Blut. Ich schaute mich suchend um. Ja, ich hatte Recht: Dort vorn in der ersten Reihe saß ein Monitor-Goblin und tippte auf das rot blinkende Licht seines Ohrstöpsels.
Ich konnte nur hoffen, dass das Mädchen wusste, worauf sie sich eingelassen hatte, bezweifelte es aber. Vampire konnten ebenso gerissen sein wie Fae.
Rüschenhemd schlich lauernd über den Friedhof, schaute hinter jeden Grabstein und tat überhaupt alles, um die Spannung zu steigern. Als er sich schließlich erlaubte, das hilflose Opfer zu finden, schwoll die Musik an.
»Zuschauerbeteiligung ist doch etwas Herrliches, findest du nicht auch?« Rios Augen waren nach wie vor fest auf die Bühne gerichtet. »Was könnte spannender, erregender sein, als einen Menschen zu beobachten, der in echter Panik ist?« Man merkte ihrer Stimme die wachsende Erregung an. »Zu fühlen , wie das Herz schneller und schneller schlägt, wie das Blut durch den Körper rauscht …« Sie keuchte. »Was ist schöner, als sich so lebendig zu fühlen, in den letzten Augenblicken,
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