Süßer König Jesus (German Edition)
Hass und Krieg gebe es nicht, dafür Glück und Vergnügen, wie wir es nie zuvor erlebt hätten. Jung und gesund war ich ja längst und umringt von meinen Liebsten ebenfalls, doch so toll kam mir das gar nicht vor. Und was sollte das schon für ein Glück und Vergnügen sein, wenn es kein Gegenteil gab, an dem es festzumachen war. Was bedeutete Schönheit überhaupt noch, wenn alle schön waren? Wofür sollte ich mich dann noch anstrengen?
»Essen gehen«, sagte Elise, »in jedem Schnellimbiss und jedem Einkaufszentrum in Zentral-Florida«, sie schaute auf ihr Handy. »Greta steht auf Sbarro.«
»Und wenn sie bei Sbarro essen waren, dann düsen sie noch die Hauptstraße rauf und runter und halten kurz mal bei Sonic für ’ne Kirschlimo.«
»Tausch die Limo gegen die Oreo-blast-Kekse und du liegst goldrichtig«, sagte sie und begann vor sich hin zu lachen.
»Was hast du?«, fragte ich.
»Nichts.«
»Was ist so lustig?«
»Mir ist grad was eingefallen«, sagte sie.
»Was?«
»Nichts«, sagte sie genervt. Ich konnte es nicht ausstehen, wenn sie mir nicht verriet, worüber sie lachte, es war, als wolle sie mich daran erinnern, dass mein Leben nicht so vergnüglich war wie ihres.
Wir fuhren an Wiesen mit Kühen vorüber. Sie standen in der Sonne und schlugen mit den Schwänzen. Kopf runter, Gras fressen. Den ganzen Tag lang Gras fressen.
Ich spielte mit dem vergoldeten Ring an meiner vergoldeten Kette. Außen auf dem Ring stand REINHEIT , innen standen meine Initialen: JEM . Er war billig und hässlich, und Elise hatte den gleichen an ihrer Kette hängen. Wir hatten einen Reinheits-Ball besucht und hatten ein Gelöbnis abgelegt. Wir hatten weiße Kleider angehabt, und in der Turnhalle unserer Schule war unser Vater vor uns auf eines seiner Knie gesunken, um uns die Ringe an die Finger zu stecken: erst Elise, dann mir. Das war vor vier Jahren, damals hatte ich noch nicht mal meine Tage. Wir seien noch total naiv gewesen, sagte Elise, aber wir hatten sie schon so lange getragen, dass die Ringe mittlerweile ein Teil von uns waren. Ich fühlte mich nackt, wenn ich meinen Ring ablegte.
Ich erinnerte mich gern an diesen Abend. Es hatte Hochzeitskuchen gegeben und Steak und eine scharfe Sauce mit Krabben. Ich hatte mich mit einem jungen schwarzen Mädchen angefreundet – ein hübsches Mädchen mit grauen Augen. Ich hatte noch nie ein schwarzes Mädchen kennengelernt. Die Gegend, in der wir lebten, war durch und durch weiß. Schwarze sah ich nur im Einkaufszentrum, oder wenn sie in ihren Autos herumfuhren.
***
Unser Vater suchte einen Radiosender und fand eine Sendung mit dem Titel »Erwecke unsere Herzen«. Eine Frau sprach über Noah und über die Endzeit. Es schien kein anderes Thema mehr zu geben als die Endzeit. Ich konnte mich nicht entsinnen, dass irgendjemand von was anderem geredet hätte. Die Frau sagte, wer das Alte Testament lese, begreife, dass Gott die Welt durch eine Flutkatastrophe habe ausradieren müssen, und dass Er sie jetzt noch einmal ausradieren müsse.
»Die Flut kann nicht die ganze Welt überschwemmt haben – dazu reicht das Wasser in den Ozeanen nicht«, sagte Elise. »Es hätte fünfmal so viel Wasser gebraucht.«
Unser Vater biss nicht an. Er schaltete das Radio ab und begann das Gaspedal zu pumpen, der Wagen zog an, rollte, zog an, rollte. So verhielt er sich, wenn er aufgeregt war oder uns ärgern wollte. Und wenn wir uns dann beschwerten, dauerte es nur noch länger, doch normalerweise sagte ich trotzdem was, um ihm klarzumachen, dass er ein Arschloch war. Diesmal hielt ich die Klappe. Elise würde es wahrscheinlich gleich schlecht davon werden.
Ich zählte die Meilen bis zur nächsten Stadt – 22, 15, 9, 6, 4, 2 –, und dann fuhren wir in irgend so ein Nichts von Stadt, wie schon so oft zuvor.
Vor einem zugenagelten Verbrauchermarkt saß eine fette Frau an einem mit buntem Ramsch überhäuften Tisch. Wir kamen an einem Mann vorbei, der Welpen in einem Pappkarton verkaufte, und ein junges Mädchen hielt einen in die Höhe, um seine Augen besser zu sehen. Wir kamen an einer U-Bahn vorbei und an einer winzigen Post und einer noch winzigeren Bibliothek, und ich dachte an all diese Menschen, die in all diesen Städten wohnen, und dass ich sie nie kennenlernen würde. Irgendwas daran kam mir traurig und merkwürdig vor – vielleicht nur, weil ich nie zuvor an sie gedacht hatte, weil sie bis jetzt überhaupt nicht existiert hatten für mich.
»Ich glaub, mir wird schlecht«,
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