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Süßer König Jesus (German Edition)

Süßer König Jesus (German Edition)

Titel: Süßer König Jesus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Miller
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für Dinge, die mit dir gar nichts zu tun haben. Nichts hier hat irgendwas mit dir zu tun.«
    Unsere Mutter packte sie am Arm und schüttelte sie durch, dass ihre Haare flogen. Alle schauten zu uns her. Waren still, verstummt. Nur die Jukebox nicht. Die war laut. Merkwürdig, all diese düsteren Leute schauten uns an, als seien wir düster. Dabei waren wir handfeste Mittelklasse. Unsere Eltern hatten Collegeabschlüsse.
    Der Barmann schob uns zur Tür hinaus, und eine Sekunde lang standen wir da, dann begann unsere Mutter zu laufen, und wir hinter ihr her wie kleine Enten. Auf dem Parkplatz lagen haufenweise Scherben herum, und Elise trug ihre Flip-Flops in der Hand. Ich riet ihr nicht, sie überzuziehen. Es waren Autoglas-Scherben, kleine, blau schimmernde Stückchen, wahrscheinlich harmlos.
    Elise stolperte über einen Brocken Beton, und ich hängte mich bei ihr ein. Sie drehte das Gesicht mit offnem Mund zum Himmel hinauf. Sie zeigte auf etwas dort oben, während ich den Boden nach den gewölbten, glänzenden Scherben von Bierflaschen absuchte. Die Luft war abgekühlt, und es kam ein leichter Wind auf. Es war so wundervoll hier im Freien, dass ich wünschte, wir würden nachts fahren und tags schlafen. Nichts hätte dagegen gesprochen, es gab genug 24-Stunden-Tankstellen, die uns sicher ans Ziel geleitet hätten, aber mein Vater hatte natürlich keinen Bock. Er hatte nie Bock auf etwas, wenn es nicht das Übliche war. Alles musste sein, wie es sich gehörte.
    »Du gibst mir jetzt diese ID «, sagte meine Mutter.
    Elise gab sie ihr ohne Widerrede, und meine Mutter steckte sie in die Tasche. Ich suchte nach Motelzimmern, in denen noch Licht brannte, und entdeckte zwei. Was machten die Leute in diesen Zimmern? Fernsehen? Oder hatten sie Sex? Irgendwie war es bei so drastisch eingeschränkten Möglichkeiten interessanter, darüber nachzudenken, was die Leute gerade taten, man hatte dann eher die Chance, richtig zu raten.
    Unser Vater schlief, sein Morgenmantel ein Häufchen auf dem Fußboden und die Bettdecke am Fußende des Betts. Sein Bauch war prall und hart, wie der Bauch einer Schwangeren. Unsere Mutter seufzte, als sie Schuhe und Shorts auszog und die Bettdecke wieder nach oben zog. Elise ging zum Waschbecken und schlürfte Wasser aus der Hand. Sie ging ins Bad, hustete ein paarmal, dann war es still. Ich stieg ins Bett und wartete. Nach einer Weile ging ich hinüber, legte meine Hand an die Badezimmertür, lehnte mich dagegen. Sie weinte. Wie unsere Mutter weinte sie immer, wenn sie traurig war, und es störte sie nicht, wenn man sie dabei sah oder hörte. Das letzte Mal, als wir zusammen Forrest Gump gesehen hatten, flennte sie während des gesamten Films und völlig hemmungslos; mir blieb nichts anderes übrig, als nach oben zu gehen, um den Film in meinem Zimmer zu Ende zu schauen.
    »Elise«, sagte ich.
    Keine Antwort.
    »Elise.«
    »Hau ab.«
    Ich ging wieder ins Bett. Ein paar Minuten später kroch sie neben mich, legte ihr Gesicht dicht an meins. Ich schlief gern auf meiner linken Seite, sie lieber auf der rechten.
    »Alles okay?«, fragte ich.
    »Ja, klar.«
    »Ich kann es nicht ausstehen, wenn du weinst. Es macht mich traurig.«
    »Ich hab einen Engel, der auf mich aufpasst«, sagte sie. Sie lag so dicht neben mir, dass sie immer nur in eines meiner Augen schauen konnte.
    »Wie bitte?«, fragte ich.
    »Ich habe heute Abend meinen Engel gesehen«, sagte sie. Sie wartete darauf, dass ich etwas erwidern würde, doch ich wollte nicht, dass unsere Mutter uns hörte. Unsere Mutter glaubte an Engel, aber sehen sollte man sie eigentlich nicht. Es war wie mit dem Gebetsteppich-Jesus, der die Augen öffnete. Er würde sie nie aufmachen, und jeder, der behauptete, er hätte sie offen gesehen, log oder war gefährlich.
    »Erzähl es mir morgen«, sagte ich.
    Sie drehte sich mit dem Rücken zu mir. Als Kinder hatten wir gestritten, wer mit dem Bein über der Hüfte der anderen, auf der bevorzugten Seite schlafen durfte, aber das war lange her.
    Ich stopfte das Extrakissen zwischen uns und dachte, Liebt einander! Es war so einfach. Warum vergaß ich etwas so Einfaches andauernd? Müsste die Botschaft Jesu auf einen Punkt verkürzt werden, dann ja wohl darauf.
    Nicht lange, und alle waren eingeschlafen, nur ich lag wach und lauschte dem gleichmäßigen, leicht flatternden Atem meiner Schwester, dem Geschnarche meiner Mutter, meines Vaters. Ich wollte als Letzte einschlafen, wollte als Letzte sehen, was am Tag als

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