Süßer König Jesus (German Edition)
Letztes geschah.
Donnerstag
Als ich aufwachte, drang durch einen Spalt im Vorhang schwaches, graues Licht, und ich wusste, dass es zu früh war. Ich sah auf die Uhr: 6:24. Ich hatte Alpträume gehabt, einen nach dem anderen, erinnern konnte ich allerdings nur den letzten. Ich, auf einem Konzert mit Tausenden von Leuten, wir standen auf einer Art Parkett, als ein Gerüst auf uns herabstürzte. Der Traum endete so: Wir lebten noch, wussten aber, dass wir es nicht nach draußen schaffen würden. Eigentlich waren die Todes-Träume gar nicht so schlimm, weil mir ab einem bestimmten Punkt immer bewusst war, dass ich träumte. Andere Alpträume dagegen fühlten sich total wirklich an. Zum Beispiel, dass ich sitzen blieb und die Klasse wiederholen musste, oder dass mir ein Zahn ausfiel. Es war immer nur ein Zahn, meistens einer aus der unteren Reihe, und ich suchte ihn und fand ihn, und während das Blut heraussprudelte, versuchte ich, ihn wieder in den Kiefer zu stecken. Manchmal klebte ich ihn auch an. Immer erwachte ich völlig verzweifelt, den Finger an meinen glitschigen Morgenzähnen, und dieses ungute Gefühl blieb einfach, auch wenn ich vergaß, wodurch es ausgelöst worden war.
Normalerweise war mein Vater vor mir wach, jetzt aber schlief er noch. Alle schnarchten, sogar Elise, auch wenn mein Vater bei weitem der Lauteste war und zwischendurch immer mal wieder ganz zu atmen aufhörte. Das Wort Kakophonie fiel mir ein – dies war eine Kakophonie . Ich rollte mich aus dem Bett und ging ins Bad. Auf dem Klo sitzend dachte ich an den gestrigen Abend: Jimmy, wie er mich durch die Windschutzscheibe angesehen hatte, Elise und ihr Engel, und: Liebt einander .
Ich zog meine Shorts an, nahm meine Handtasche und verließ das Zimmer.
Es war schon heiß. Eigentlich hätte ich die Hitze längst gewohnt sein müssen, aber jeden Sommer überraschte sie mich aufs Neue; jeder Sommer kam mir heißer vor als alle Sommer zuvor. Von einem Baum flog ein Vogel auf, die Flügel schlugen derart laut, dass ich jeden Schlag einzeln hörte. Ich überlegte, was ich frühstücken wollte, dachte eine Cola light und eine Tüte Sandwich-Cookies, falls es die gab, falls nicht, eine Honigschnecke. Eventuell eine Doppelpackung Erdbeertaschen. Falls es nur einen Getränkeautomaten gäbe, würde ich zur Tankstelle rüberlaufen und ein paar Puderzucker-Donuts holen. Das war das Tollste morgens – eine Cola light und was Süßes dazu. Elise und meine Mutter liebten die Nacht, mein Vater und ich den Morgen.
Vor der Tür des Glatzkopfs blieb ich stehen und beobachtete die im Luftzug der Klimaanlage flatternden orangeroten Vorhänge. Dann beugte ich mich nach vorn. Wollte etwas hören. Ich wollte die Frau stöhnen hören.
Die Automaten standen neben einer nicht funktionierenden Eismaschine. Ich hob die silberne Klappe – ein vergilbter Hohlraum. Ich ließ sie fallen, sah nach, was es alles gab, und entschied mich für eine Honigschnecke. Ich steckte Münzen in den Schlitz, und die Honigschnecke fiel herunter. Sie rauszukriegen war nicht ganz leicht, und als ich aufsah, stand da der Glatzkopf mit einem Eimer unterm Arm.
»Funktioniert nicht«, sagte ich und hielt meinen Geldbeutel schräg, um die Münzen aufzufangen. Dann nahm ich eine Handvoll und warf die Pennys und Silberpapierchen wieder zurück.
»Brauchst du Geld?«, fragte er, indem er seine Brieftasche zückte.
»Nein, danke«, sagte ich.
Er hielt mir einen Dollar hin. »Hier.«
»Schon okay.«
»Ist bloß ein Dollar«, sagte er. »Nimm.«
Ich bedankte mich und steckte ihn in den Automaten. Die Flasche ratterte herunter. Sie hatten immer dieselbe Temperatur, eine Spur zu warm.
Er stand immer noch mit seinem Eiskübel da und sah mich an, also fragte ich, was ich immer fragte, wenn mir was unangenehm war – ob er schon errettet sei.
»Ich bin katholisch«, sagte er.
»Meine Mutter war früher, in ihrer Jugend, auch katholisch, jetzt ist sie’s nicht mehr.«
»Ich auch nicht mehr. Bist du schon errettet?«
»Na klar«, sagte ich, blinzelte auf den Parkplatz hinaus, als gäbe es dort was zu sehen.
»Hat man dich in einen See getunkt?«
»Nein, nur in der Kirche.«
»Du im weißen Kleid in einem See – kann ich mir gut vorstellen.«
»So was gibt’s nur im Fernsehen«, sagte ich.
»Ich gehe nicht mehr zur Messe, außer an Weihnachten. Das bringt mich in Stimmung, so ähnlich wie der Truthahn an Thanksgiving. Will sagen, vermutlich bin ich der Schönwetter-Typ, ich meine, wenn
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