Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Süßer König Jesus (German Edition)

Süßer König Jesus (German Edition)

Titel: Süßer König Jesus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Miller
Vom Netzwerk:
Dinge nicht einfach fallen. Ich prüfte mein Handy. Wie immer hatte niemand angerufen oder gesimst. Ehe ich mir das genauer ausdenken konnte, tippte ich eine Nachricht an Gabe – ich habe an die Rückbank deines Vans gedacht – und drückte senden . Dann legte ich das Handy mit der Display-Seite auf meine Brust und wartete. Eine Minute später nahm ich es hoch, schaute nach, stellte die Lautstärke ein. Wahrscheinlich schlief er. Es war spät, und er schlief, schlief schon seit Stunden, aber ich brauchte ihn, wach. Ich wollte ihm alles erzählen. Ich hatte das Gefühl, er würde alles verstehen: der einzige Mensch, der verstand.
    Ich vertrieb mir die Zeit – zählte von zehn aus rückwärts, ignorierte das Handy – doch es half nichts, also gab ich auf und sagte das Vaterunser auf. Ich sprach es wieder und wieder, bis die Wörter sich alle vermengten und ich keine Ahnung mehr hatte, wie es ging.
    Ich träumte, ich sei blind, bis auf ein kleines Viereck in der oberen rechten Ecke meines Sehvermögens. Ich musste meinen Kopf andauernd bewegen, musste das Viereck an genau die richtige Stelle bringen, damit ich sehen konnte. Ich sah eine Banane, griff nach ihr und nahm sie. Ich schälte sie und biss ab, und jeder weitere Bissen brachte mehr und mehr Sehvermögen zurück, bis ich wieder normal sehen konnte. Im nächsten Traum waren wir zu Hause, und meine Mutter stand in der Einfahrt und wurde von einer Schlange, so groß wie ein Auto, weggerissen. Meine Schwester schrie mich an, ich solle unseren Vater holen, also ging ich ins Haus und fand ihn schlafend in seinem Sessel. Im Fernsehen lief Gunsmoke , wodurch es sich weniger traumartig anfühlte. Anstatt zu schreien, schüttelte ich ihn, bis er aufwachte, und wir rannten hinaus, doch inzwischen hatte die Schlange ihren gesamten Körper im Maul, und wir standen nur da und sahen zu.

Samstag
    Als ich erwachte, lag Elise zusammengerollt um mich herum. Ich rückte von ihr ab und prüfte mein Handy. Gabe hatte um sieben Uhr achtundvierzig geantwortet: Hey Mädchen. Was genau hast du gedacht? Ich wusste nicht, was ich zurückschreiben sollte. Verführerisch sollte es klingen, aber auch ernst. Eigentlich ernst, aber begonnen hatte ich das Ganze verführerisch. Ich war froh über seine Antwort, allerdings schien sie mir zu kurz und sie kam zu spät. Er konnte mir nicht helfen.
    Ich machte den Fernseher an. Es gab keine Berichte über vermisste Christen. Marshall war für Kommentare nicht erreichbar. Wir müssten wahrscheinlich nach Montgomery zurückfahren, doch ich wollte nicht nach Montgomery zurück oder vielleicht hatte ich einfach keinen Bock mehr auf Autofahren, nie wieder. Ich fragte mich, ob wir in Arizona bleiben könnten. In Arizona wirkte mein Haar länger und voller, meine Haut reiner. Meine Mutter könnte als Lehrerin arbeiten und mein Vater irgendwo Arbeit finden, wo die Leute nichts von all den Jobs wussten, die er schon verloren hatte. Er könnte von vorn beginnen. Und Elise könnte ihr Kind bekommen, oder auch nicht, darum würde sich hier keiner scheren. Während ich meine schlafende Schwester ansah, suchte ich noch weitere Argumente, die sie überzeugen könnten.
    Nach einer Weile ging ich ins Bad – mein Magen fühlte sich komisch an, und ich spürte einen dumpfen Schmerz im Kopf, doch ich sah besser aus als je zuvor in meinem Leben – rosige Wangen und Lippen, feuriger Blick. Meine dreckigen Haare wirkten dunkler, fast dick. Ich untersuchte meine Poren im Vergrößerungsspiegel, das Licht warf Reflexe in meine Augen.
    Ich schaltete den kleinen Fernseher an und setzte mich aufs Klo. Die Sendung hatte ich schon mal gesehen: Leute, die lebten, als seien sie im 19. Jahrhundert – wohnten auf einer Farm mit Schweinen und Hühnern, und die Frauen schwitzten in knöchellangen Kleidern mit langen Ärmeln. Eine maskulin wirkende Frau wusch die Kleider, während eine attraktivere Kekse buk. Du hast mit einem geschlafen, dachte ich. Du hast es getan. Ich wollte mehr fühlen, es sollte weh tun, also wiederholte ich immer wieder: Du hast es getan. Du bist keine Jungfrau mehr . Ich nannte mich Schlampe, Hure und grub mir die Nägel in meine Schenkel, um das Gefühl aus meiner Brust in die Beine zu lenken.
    ***
    Eine Stunde später waren wir im Zimmer meiner Eltern, legten uns in die leere Wanne, während unsere Mutter mit einer ihrer Schwestern telefonierte. Schon beim Öffnen der Tür hatte sie uns böse angeschaut, hatte aber nicht kommentiert, dass wir sie nicht

Weitere Kostenlose Bücher