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Süßer König Jesus (German Edition)

Süßer König Jesus (German Edition)

Titel: Süßer König Jesus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Miller
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irgendetwas gab es. Und vielleicht hatte sie ja gar keine Fehlgeburt. Was wusste sie schon von Fehlgeburten? Ich klopfte, und meine Mutter öffnete.
    »Ist alles okay?«, fragte sie und lehnte sich leicht zurück. Ich überlegte, ob sie den Alkohol riechen konnte. »Ich habe geklopft, aber Elise will nur dich sehen.«
    »Sie hat nur Krämpfe«, sagte ich.
    »Oh, okay«, sagte sie, und ihr Blick suchte meinen. Sie trat einen Schritt zurück und machte die Tür weiter auf. Sie wusste natürlich, dass Elise ihre Regel nicht hatte; sie war es, die ständig rumrannte und Tampons und Binden und Slipeinlagen kaufte. Midol und Ibuprofen. Mit uns dreien im Haus hielten sich diese Dinge nie lange. Meine Tage kamen, wenn die meiner Mutter abebbten, waren jetzt also jeden Tag fällig, jede Sekunde, während Elise erst in zwei Wochen dran war, frühestens. Warum ich das gesagt hatte, war mir nicht ganz klar, ich wünschte, ich hätte es nicht gesagt.
    Elise öffnete die Badezimmertür, und ich gab ihr die Medikamente. Sie riss mehrere Päckchen auf und schluckte die Pillen.
    »Es wusste, dass ich es nicht wollte«, sagte sie. »Das hat es gespürt.«
    »Es ist nicht deine Schuld«, sagte ich, obwohl ich nicht wusste, ob es ihre Schuld war oder nicht. Vielleicht hatte das Kind alles gewusst, vielleicht hatte es alles, was Elise fühlte, gefühlt. Ich dachte an Rachel mit ihrem halb fratzenhaften, halb normalen Gesicht und spielte an meinem Ring herum, schob ihn die lange Kette rauf und runter, bis ein angenehmes Reißverschluss-Geräusch entstand.
    Wir saßen auf dem Boden und schauten fern. Es war Nacht. Die Frauen saßen im Kreis, nähten bei Kerzenschein. Eine sagte, sie wolle aus dem Projekt aussteigen, sie wisse nicht, warum sie überhaupt eingestiegen sei, und die anderen versuchten, sie davon abzubringen. Je heftiger sie allerdings versuchten, ihr den Zweck des Experiments zu erklären, desto weniger überzeugt klangen sie selbst. Und auf einmal redeten sie es sich alle aus – sie waren hungrig und erregt und würden vielleicht sogar blind werden. Ist nicht das Mädchen aus Little House on the Prairie , also wirklich, im wirklichen Leben erblindet?
    »Wie geht’s dir?«, fragte ich.
    »Gut«, sagte sie und sah mich so jämmerlich an, dass ich das Gefühl hatte, auch ich hätte etwas verloren. Familie konnte schrecklich sein – neben den eigenen musste man auch noch die Schmerzen und Enttäuschungen der anderen durchleiden, aber das Gute konnte man nicht teilen, jedenfalls nicht auf dieselbe Weise.
    »Vielleicht ist es gar keine Fehlgeburt. Vielleicht ist es bloß ein bisschen Blut.«
    »Ich kenne meinen Körper«, sagte sie.
    Ich kenne meinen Körper, dachte ich. Ich kenne meinen Körper. Ich hätte meinen Körper gern gekannt. Wir kauten M&Ms und schauten Werbung für Putzmittel und Aufschnitt, und dann war es Morgen, und die Frauen waren wieder bei der Arbeit, fütterten die Tiere und wuschen die Kleider und keiner redete mehr davon, aus dem Projekt auszusteigen. Elise ordnete die M&Ms nach Farben; von den roten, den braunen und den blauen aß sie immer zwei oder drei auf einmal. Ich biss auf eines ohne Erdnuss, das war ein Glücksfall, wie wenn man in der Wiese ein vierblättriges Kleeblatt fand.
    Als die Tüte alle war, nahm ich Elises Hand und hielt sie. Ich hielt sie so lange, bis unser beider Hände feucht wurden, und ich wollte sie loslassen, tat es aber nicht. Ich wollte, dass sie wusste, dass ich immer für sie da sein würde, dass ich sie nie im Stich lassen würde.
    »Ich muss diese Binde wechseln«, sagte sie schließlich, und ich stand auf und schloss die Tür hinter mir.
    Als Elise aus dem Bad kam, traf das Essen ein – Teller mit Rührei und Bacon, Fruchtsalat, Pfannkuchen und eine Kanne mit Kaffee.
    »Fühlst du dich besser?«, fragte unsere Mutter.
    »Ein bisschen«, sagte sie. Sie setzte sich zu uns aufs Bett und ich streckte den Arm aus, berührte ihr Haar. Sie lächelte mich an und goss sich eine Tasse Kaffee ein, rührte Sahne dazu und ein Tütchen Zucker. Sie schöpfte einen Löffel Rührei auf ihren Teller, eine Kelle Fruchtsalat.
    Unser Vater holte die Nadel aus dem Etui und quetschte seinen Bauch, doch bevor er zustach, hielt er inne. »Ich glaube, ich werde diese Klinik-Diät machen, die Woo mir so lange schon einredet«, sagte er.
    »Gute Idee«, sagte unsere Mutter, während sie mir einen vollständigen Satz Besteck über den Tisch reichte.
    »Ich könnte es schaffen«, sagte er.
    »Klar

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