Süßer Tod
zu spät, aber er schlüpfte als einer der Letzten kurz vor Beginn der Trauerfeier in die Kapelle des Bestattungsinstituts. Links vom Mittelgang waren alle Plätze für Polizisten reserviert. Die andere Seite war bis auf den letzten Platz mit Zivilisten besetzt.
Raley stand an der Rückwand, gemeinsam mit vielen anderen, die zu spät gekommen waren, um einen Sitzplatz zu ergattern. Aus unsichtbaren Lautsprechern tönten Kirchenlieder, trotzdem war es eine eher weltliche als geistliche Trauerfeier. Tatsächlich hätte Raley nicht sagen können, ob Jay überhaupt irgendeinem Glauben anhing. Raleys Eltern hatten von ihrem Sohn verlangt, regelmäßig zur Kirche zu gehen. Jay hatte ihn deswegen immer aufgezogen.
Vertraute Passagen aus dem Alten und Neuen Testament wurden verlesen, dann sprach der Polizeikaplan ein Gebet. Aber der Großteil des Gottesdienstes verging in Lobeshymnen auf Jays Tugenden und seinen Witz, seine Hingabe an den Polizeidienst und natürlich seine heldenhafte Tapferkeit am Tag des Brandes in der Polizeizentrale.
Der Grundtenor jeder Ansprache war, dass das Police Department und die gesamte Stadt eines ihrer edelsten Mitglieder verloren hatte und dass die Welt durch Jays Hinscheiden entschieden ärmer geworden war.
Eine der letzten und rührendsten Trauerreden war von Richterin Cassandra Mellors verfasst worden. Da sie nicht persönlich gekommen war, wurde ihre Ansprache vom Bestattungsunternehmer verlesen. Dringende Angelegenheiten und berufliche
Verpflichtungen hätten Richterin Mellors daran gehindert, dem Gottesdienst beizuwohnen, erklärte er, aber sie bedauere zutiefst, dass sie nicht hier sein konnte, um persönlich ihre tiefe Trauer um Jay Burgess und zugleich ihre Sorge angesichts seines Hinscheidens und der unglückseligen Umstände seines Todes auszudrücken.
Seit seiner Ankunft hatte Raley die Menge abgesucht und nach Candy Ausschau gehalten. Er war tief enttäuscht, dass sie nicht gekommen war und er folglich keine Gelegenheit hatte, den Kontakt wieder aufleben zu lassen.
Natürlich hätte er das Thema Brand dabei nicht angeschnitten. Auch Britt hätte er nicht erwähnt. Candy glaubte bestimmt, dass Britt auf der Flucht vor der Justiz war. Aber falls es später notwendig werden sollte, Candy um Hilfe zu bitten, wäre es nach einem persönlichen Gespräch weniger peinlich gewesen, sich nach so langer Funkstille bei ihr zu melden.
Der Gottesdienst war zu Ende, alle erhoben sich. Ein Dudelsackspieler gab »Amazing Grace« zum Besten, während der Sarg den Mittelgang hinunter- und durch die offene Doppeltür zum wartenden Leichenwagen hinausgetragen wurde. Die Beisetzung sollte im kleinen Kreis stattfinden, nur Jays überlebende Verwandte – eine Handvoll Cousins und Cousinen sowie ein Onkel – würden ihr beiwohnen. Sobald der Sarg durch die Tür war, wurde die Trauergesellschaft von den Angestellten des Bestattungsunternehmens nach draußen geleitet, Bankreihe um Bankreihe, mit der ersten Bank angefangen. Als einer der Ersten schritt Cobb Fordyce Arm in Arm mit einer attraktiven Frau, die vermutlich seine Gattin war, durch den Mittelgang. Beide stellten eine ernste, stoische Miene zur Schau, das Standardgesicht jedes Würdenträgers bei einer Beerdigung. Falls der Attorney General Raley in der Menge bemerkt hatte, ließ er sich das nicht anmerken.
George McGowan reagierte ganz anders. Er kam gleich hinter Fordyce, und als er Raley sah, schrak er sichtlich zusammen
und blieb wie angewurzelt stehen, was ihm einen konsternierten Blick von Miranda eintrug. Sein Schwiegervater, der direkt hinter ihm ging, schubste ihn dezent von hinten an.
George wandte den Blick ab und ging weiter in Richtung Tür. Weil Raley ihn nicht entkommen lassen wollte, verstieß er gegen das Protokoll und schlängelte sich an den Trauergästen an der Wand vorbei, um sich unter die nach draußen Schreitenden zu mischen.
Der Nachmittag war heiß und stickig, und die Luft war schwül. Alle Männer, die keine Polizeiuniform trugen, legten ihr Jackett ab und fanden sich zu leise plaudernden Grüppchen zusammen. Ein paar zündeten die ersten Zigaretten an. Niemand sah wirklich auf den Leichenwagen, aber alle wollten dem Toten Respekt erweisen und nicht weggehen, bevor der Wagen abgefahren war.
Raley suchte die Menge ab, die sich auf dem Rasen vor der Kapelle verteilt hatte. Fordyce und seine Missus wurden bereits in eine Stretchlimousine verfrachtet. Aber George McGowan stand mit seiner Frau und seinem
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