Süßer Tod
hätte ewig dort sitzen und auf ein Zeichen warten können, dass er zu reden anfangen konnte. Schließlich tupfte sie sich die Augen, putzte sich die Nase und sah ihn an. Mit rauer Stimme sagte sie: »Raley?«
Das Fragezeichen hinter seinem Namen verriet, wie unvorstellbar es für sie war, dass sie dieses Gespräch führen mussten. Sie wartete auf eine Erklärung. Er legte den Arm auf die Rückenlehne des Sofas und sah ihr ins Gesicht. Er sagte das Einzige, was ihm in dieser Situation einfallen wollte, doch das kam aus tiefstem Herzen: »Hallie, es tut mir so leid.«
Irgendwie fanden sie sich, fielen einander in die Arme und weinten zusammen. Zum ersten Mal, seit er an diesem Morgen aufgewacht war, konnte er seinen Gefühlen freien Lauf lassen. Er weinte um das Mädchen, das neben ihm gestorben war, um sein Leben, das in eine solche Krise geraten war, und er weinte, weil er der Frau, die er liebte, so tiefes Leid zugefügt hatte.
Schließlich nahm er seine Kraft zusammen, wischte sich das
Gesicht ab und griff nach ihrer Hand. »Ich werde dir alles erzählen. Genau so, wie es passiert ist. Wenn du mich dann ohrfeigen oder verlassen oder weiß Gott was willst…«
»Erzähl es mir einfach, Raley.«
Und er erzählte. Auch wenn es ihm schwerfiel, sich selbst in so schlechtem Licht zu zeigen, ließ er kein einziges Detail aus. Sie hatte es verdient, die reine Wahrheit zu erfahren.
»Ich hätte mich sofort verziehen sollen, als sie auf mich zukam. Ich hätte die Margarita ablehnen und gehen sollen, so wie ich es ursprünglich vorhatte. Es war bestimmt nicht so, dass ich sie gesehen und gedacht habe: Hallie ist verreist. Das ist die Chance für einen Seitensprung. Sie wird nichts davon erfahren. Jay wird den Mund halten. Ich schwöre dir, Hallie, so war es nicht. Meine einzige Entschuldigung ist, dass sie wirklich heiß aussah, dass sie nett war und dass ich es genossen habe, so umschmeichelt zu werden.«
»Dass ich dich liebe, schmeichelt dir nicht genug?«
»Doch. Natürlich. Aber…«
»Aber dein Kumpel hat dir die Arbeit abgenommen. Er hat die Menschen gerettet und wurde zum Helden. Das hat an dir genagt, nicht wahr?«
»Ein bisschen, ja.«
Das Geständnis machte sie traurig. »Du brauchst mir nichts zu beweisen, Raley. Oder dir selbst. Niemand zweifelt an deinem Arbeitsethos, an deinem Wissen und deinen Fähigkeiten und schon gar nicht an deinem Wert.«
»Ich weiß.« Die Worte klangen leicht gehässig und taten ihm sofort leid. »Aber seit dem Brand macht es mir irgendwie zu schaffen, dass Jay das getan hat, was eigentlich meine Pflicht gewesen wäre. Darum muss ich zugeben, ja, es hat meinem Ego geschmeichelt, dass dieses Mädchen ausgerechnet mich ausgesucht hatte. Jedenfalls habe ich sie nicht gleich stehen lassen. Dafür bitte ich dich um Verzeihung. Aber was den Rest angeht …« Er rutschte näher an sie heran. »Hallie, ich weiß – ich kann es nicht
beweisen, aber ich weiß –, dass in der Margarita, die sie mir gegeben hat, irgendwelche Drogen waren.«
»Das hat mir Jay schon erzählt.«
»Du weißt, wie viel ich vertrage. So stark könnte keine Margarita sein, dass ich nach ein paar Schlucken so dumm wäre, unsere Beziehung aufs Spiel zu setzen. Ich würde niemals riskieren, dass ich dich wegen einer Nacht mit einer anderen Frau verliere, wer diese Frau auch sein mag. Das würde nicht passieren. Meine einzige Erklärung ist, dass ich nicht ich selbst war. Ich hatte keine Kontrolle über mich.«
So gut er konnte, versuchte er zu erklären, dass sein Körper genau wie der jedes anderen Mannes auf die sexuelle Stimulation reagiert hatte, aber dass er selbst mit Herz, Geist und Seele nicht beteiligt gewesen war. »Glaubst du mir das? Wenn nicht, kann ich mir jedes weitere Wort sparen.«
Sie sah ihn durchdringend an. »Ich glaube dir, Raley. Wirklich. Mir will nur nicht in den Kopf, wie du zulassen konntest, dass du in so eine Situation kommst.«
»Du hast mich auch gedrängt, auf die Party zu gehen, Hallie.« Er sagte das so sanft wie möglich. Er wollte niemandem die Schuld zuschieben, und er wollte ganz bestimmt keinen Streit anzetteln.
»Ich weiß, ich weiß.« Sie schloss für einen Moment die Augen.
Als Hallie sie wieder öffnete, sah er ihr an, dass sie darauf gefasst war, noch mehr zu hören. Er berichtete ihr von der verstörenden Erfahrung, beim Aufwachen neben der toten Suzi Monroe zu liegen. Er erzählte ihr von seinen Gesprächen mit den Detectives.
»Glauben sie dir?«,
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