Süßer Tod
dergleichen, nichts, was sie erwartet hätte. Aber sie sah, wie er die Zähne zusammenbiss, sodass es nicht einmal sein dichter Bart verbergen konnte. »Dachte ich mir. Wie kam es dazu?«
»Wir lernten uns gleich bei meiner ersten Reportage in Charleston kennen. Ich sollte über eine tödliche Messerstecherei in einer zwielichtigen Bar in einer ebensolchen Gegend berichten. Nachdem ich meine Aufnahmen gemacht hatte, kam Jay, der in dem Fall ermittelte, auf mich zu und stellte sich vor. Er sagte irgendetwas Schräges wie: ›Kommen Sie oft hierher?‹«
»Sie fanden das niedlich.«
»Es war niedlich. Wir machten uns bekannt, plauderten ein bisschen, und dann fragte er mich, ob es jemanden in meinem Leben gebe. Er sagte, wenn ja, würde er sich von der nächsten Brücke stürzen. Falls nicht, könnte ich ja später mit ihm in eine Bar gehen, aber eine wesentlich bessere.«
»Sie haben sich mit ihm getroffen.«
»Er sah gut aus und war charmant. Noch dazu Polizist, weshalb ich mir keine Sorgen machte. Also ja, ich fand ihn sympathisch und habe mich mit ihm getroffen.«
Er zog eine Braue hoch.
»Nein, Raley, ich habe nicht mit ihm geschlafen, jedenfalls nicht nach diesem Treffen.«
»Aber nach dem zweiten?«
Sie wollte sich nicht provozieren lassen. »Ein paar Tage nach diesem ersten Treffen rief Jay mich im Sender an.«
Mit einem fröhlichen, aufgekratzten »Britt Shelley« ging sie im Nachrichtenraum an den Apparat.
»Das ist dein Glückstag.«
»Heißt das, ich darf ein Wochenende in einem Hotel in den Ozarks verbringen, wo man mir ein Ferienapartment andrehen will?«
»Besser.«
»Ich habe im Lotto gewonnen?«
»Journalistisch gesprochen.«
»Ich bin ganz Ohr.«
»Es wäre mir recht, wenn du meinen Namen nicht nennen würdest.«
Natürlich hatte sie seine Stimme sofort erkannt, doch das anfängliche Lächeln darin war inzwischen verblasst. »Okay.«
»Und zwar nie.«
Der Tonfall war eindeutig todernst. »Sprechen wir hier über eine Story?«
»Eine Hammerstory. Deshalb darf auf gar keinen Fall durchsickern, dass ich deine Quelle bin.«
»Kapiert.«
»Ich kann das nicht jetzt und nicht am Telefon besprechen.«
Sie verabredeten sich für Viertel vor zwölf nachts, womit sie den anderen Angestellten genügend Zeit gaben, nach den Spätnachrichten das Gebäude und den Parkplatz zu verlassen.
Es überraschte sie nicht, dass Jay Burgess sich wieder gemeldet hatte. Sie hatte damit gerechnet. Sie hatten sich bei den ersten Drinks gut amüsiert, er hatte für sich noch einen nachbestellt, aber er hatte nicht betrunken gewirkt. Es war ein angenehmes,
entspanntes Date zum gegenseitigen Kennenlernen gewesen. Wo bist du aufgewachsen, wo zur Schule gegangen? Magst du Sport, Filme, Bücher, scharfes Essen? Warst du schon mal verheiratet? Dein liebster Ferienort? Das Traumreiseziel?
Am Ende des fröhlichen Abends hatte er ihr versprochen, dass er sich bald wieder melden würde, und sie hatte ihm geglaubt.
Sie hatte angenommen, dass es bei seinem nächsten Anruf um ein zweites Date, nicht um eine »Hammerstory« gehen würde. Aber sie war nicht enttäuscht. Einen treuen Zuschauerstamm aufzubauen war ihr wichtiger, als sich in eine Affäre zu stürzen, die nur kurzlebig sein konnte. Bei Jay wie auch bei ihr hatten sich zwar die Hormone gerührt, aber nicht die Herzen. Zu diesem Schluss war sie schon nach der ersten halben Stunde in der Bar gekommen.
Wie ihr im Lauf der Jahre aufgegangen war, herrschte unter vielen jungen, ehrgeizigen Berufsanfängern das unausgesprochene Einverständnis, dass jede Art von romantischer Affäre als frivol galt. Sie hatte gelernt, jene Männer zu erkennen, die ähnlich dachten wie sie, die nicht nach einem festen Partner suchten, die sich bei einem Date vor allem entspannen und amüsieren oder, falls beide willig waren, auch erotisch vergnügen wollten. Nichts weiter.
In dieser breit gefächerten Gruppe von Menschen, die auf den entscheidenden Karrieresprung hofften, ging kaum jemand eine Beziehung ein, weil man schwerlich erwarten konnte, dass sie den Belastungen standhalten würde, die unter zwei Vollzeitjobs und dem Ehrgeiz der beiden Beteiligten entstehen mussten. In eine langfristige Beziehung musste man Zeit und Mühe investieren, und beides steckte man lieber in die eigene Karriere, die eindeutig wichtiger war als Amore.
Sie mochte Männer. Sie war gern mit ihnen zusammen. Hin und wieder schlief sie auch gern mit einem. Aber sie war immer wieder umgezogen und
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