Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
Hofmeister hat so recht, Ihro Durchlaucht. Der Herzog und wir alle haben Euch viel zu verdanken. Wir hatten vergessen, dass die Speisen unserer Väter vollkommen sind, denn, wie mir scheint, bringt uns der Doktor Paracelsus zu früheren, besseren Zeiten zurück. Es ist ganz erstaunlich zum Beispiel, wie geschmeidig die Soße zu den kalten Forellenfilets ist. Was ist ihr Geheimnis, wenn ich fragen darf?«
Sabina genoss ihren Sieg in vollen Zügen und antwortete engelsgleich.
»Das kommt davon, dass wir keine Zwiebeln, sondern Schalotten genommen haben.«
Schalotten! Die Weißenfelderin bekreuzigte sich respektvoll. Die Kreuzritter hatten dieses süße, rosafarbene Zwiebelgewächs im Heiligen Land zu schätzen gelernt. Von der großen Hafenstadt Askalon aus waren sie ins Abendland verschifft worden. Diese Zwiebeln des Herrn also befanden sich in der Soße! Weit feiner, lieblicher, empfindlicher auch als die gemeinen Bauernzwiebeln! Nicht jedes Jahr gelang es den herzoglichen Gärtnern, Schalotten in ausreichender Menge anzubauen und zu ernten. Ludwig ließ sie dann aus dem Rheinland kommen, das ein mildes Klima hatte; manchmal sogar aus Paris, wo sie besonders gut gediehen.
»Das ist aber nicht alles«, fuhr Sabina fort. »Der Langhahn hat sie erst zusammen mit gehackten Mandeln in Baumöl gedünstet, bevor er sie zu der Brot-, Wein- und Essigtunke gegeben hat. Dazu kommen noch warme Gewürze, Zimt und Nelken, weil der kalte Fisch es verlangt, und Korinthen für die Lieblichkeit.«
Die Weißenfelderin erstickte beinahe vor Begeisterung.
»Guter Gott, wie raffiniert! Es stimmt also, dass Ihr jeden Tag in der Küche anzutreffen seid? Welche Mühe Ihr Euch gebt! Ist das nicht fürchterlich anstrengend? Ihr seid ja so dünn. Mutet Euch bloß nicht zu viel zu!«
Weil Sabina mit aller Kraft ein Lachen unterdrücken musste, beruhigte Anna Lucretia die schwer atmende Dame.
»Wir stehen nicht stundenlang am Herd und an den Öfen. Wir beraten nur jeden Tag mit den Köchen. Alles andere erledigen sie selbstverständlich allein.«
Die Weißenfelderin seufzte lautstark.
»Na, Gott sei’s gedankt! Wir brauchen Euch noch lang, Durchlaucht.«
Auch Ursula von Weichs bemühte sich um Sabina. Gerne hätte sie geschwiegen, aber wenn diese dicke, alte Schnepfe der Herzogin den Hof machte, durfte sie nicht zu auffällig schweigen. Die Kräutersoße für die Schildkröten lieferte ihr den Anlass, sehr zum Entsetzen des Leibarztes Doktor Ulmitzer, der unweit von ihr am Tisch saß. Bisher hatte er es geschafft, seine winzige Nase hochzuhalten und jedes Gericht durch seine Brille angewidert zu begutachten. Er rührte nichts an, blieb ausschließlich bei Brot und Götterwein. Jedem teilte er mit, er bräuchte weder die schleichenden Gifte des Paracelsus noch Soldanis italienische Liebespfeile. Ursulas Zurückhaltung passte ihm sehr gut, ihr unerwartetes Lob deutlich weniger.
»Gnädiges Fräulein, ich kann Eure Begeisterung gar nicht teilen. Die Schildkröte ist ein kaltes und feuchtes Tier. Es verlangt nach trockener, warmer Würzung. Eine Kräutersoße ist gefährlicher Unfug, da selbige die gleichen Eigenschaften aufweist und sie deshalb verstärkt, was zu einer Abkühlung des Blutes führen kann und dadurch zu einer Verlangsamung des Verdauungsvorgangs. Wird dieser gar unterbrochen, so hat das unabsehbare Folgen.«
Er redete laut genug, sodass Sabina ihn hören musste. Ursula drehte sich entschieden zur Herzogin hin.
»Ihro Durchlaucht, Doktor Ulmitzer mag mit seinen Überlegungen recht haben. Dennoch ist diese Soße für meinen Begriff weder kalt noch feucht. Täusche ich mich?«
»Keineswegs, meine Gute.« Sabina sah genüsslich ihren Triumph voraus. »Die Kräuter sind eine Empfehlung des Doktor Paracelsus, um das Blut zu reinigen. Deswegen gibt es auch Mangold in der Mischung. Seine Säure soll den süßen Fluss bekämpfen. Im Frühling werden wir Sauerampfer benutzen, das ist noch wirksamer. Die Minze ist kein kaltes, feuchtes Kraut, gerade im Winter nicht, wenn es sie nur getrocknet gibt. Minze öffnet die Lunge, erweitert den Magen und bahnt so der Luft und der Nahrung einen Weg durch den Körper. Das Bohnenkraut unterstützt sie bekanntermaßen dabei. Ihr schmeckt dazu Wärme und Lieblichkeit in der Soße. Der Langhahn hat nicht nur Semmelbrot in Wein und Essig eingeweicht, sondern auch genauso viel Honigkuchen und eine Handvoll Rosinen.«
Ursula war voller Bewunderung.
»Das ist wahrhaftig so klug wie köstlich.
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