Sumerki - Daemmerung Roman
zärtlich über die Tasten und lauschte dem weichen Zirpen, das der Wagen von sich gab, wenn er ihn hin und her fuhr. Ich wartete nur darauf, dass er im nächsten Moment sein Stethoskop herauszog und zu der Maschine sagte: »Na, wo fehlt’s denn?«
Stattdessen versicherte er mir, der »Kleinen« sei nichts Schlimmes passiert, aber ein wenig aufwändig sei die Sache doch und wegen der Feiertage werde sie wohl kaum vor dem dritten Januar fertig werden. Ich solle vorher anrufen. Die Summe, die er für die Reparatur veranschlagte, war ziemlich beeindruckend, doch schien es sinnlos, mit ihm zu diskutieren: Eine handschriftliche Übersetzung abzugeben kam nicht infrage, und die Maschine musste ohnehin wieder einsatzfähig gemacht werden. Als wir schließlich alles vereinbart hatten, bot er mir einen kleinen Plausch an - vergleichbar mit der Situation im Film, wenn Finanzhaie nach erfolgreicher Verhandlung eine dicke Zigarre rauchen, um ihre Vereinbarung zu besiegeln.
»Wie das neulich gebebt hat, was? Mein halbes Geschirr ist vom Regal geflogen … Und der Putz ist in ganzen Platten runtergekommen. Mein Nachbar oben hat einen Infarkt bekommen, der ist so alt wie ich. Ich selbst hab auch erst mal eine Validol genommen.«
»Ja, mir ging’s genauso. Einen halben Tag hab ich gebraucht, bis alles wieder aufgeräumt war.«
»Sagen Sie«, fragte er plötzlich mit einem steifen Lächeln, »glauben Sie an das Ende der Welt?«
Ich wollte schon nicken, doch dann überlegte ich es mir anders, zuckte nur mit den Schultern und sah den Meister abwartend an.
»Ich hab mal in der Zeitung gelesen, dass irgendwelche Indianer das vorausgesagt haben … Die Inkas? Oder waren es die Azteken?« Er blickte mich nicht an, während er - offensichtlich bewusst - falsche Namen vorschlug, ganz so, als wolle er mich dazu bringen, ihn zu verbessern.
»Nie gehört«, sagte ich und schüttelte den Kopf. »Und außerdem, wissen Sie, in der Zeitung schreiben sie doch jedes Jahr irgendwas über den Weltuntergang. Erinnern Sie sich noch, was für ein Theater sie um das Jahr 2000 gemacht haben?« Ich lächelte vorsichtig. »Wir werden das schon überleben.«
»Die Maya! Die waren das. Die Maya. Haben Sie wirklich noch nie davon gehört?« Endlich hob er die Augen und starrte mich so durchdringend an, dass mich fröstelte.
»Nein, bei Gott, zum ersten Mal heute von Ihnen. Also dann, frohes Neues! Ich muss los, hab noch viel zu tun, Geschenke für die Kinder kaufen und so«, log ich, während ich bereits die Treppe aus dem Kellerraum hinaufstieg, in dem sich die Werkstatt befand.
»Die Maya, ganz sicher.«
Krachend fiel die Eisentür ins Schloss und unterbrach sein Murmeln. Ich atmete auf.
Die Fahrt nach Hause würde einige Zeit dauern, also machte ich an einem Zeitungsstand vor der Metrostation Halt. Fast alle Ausgaben zeigten auf ihren Titelseiten Aufnahmen aus dem Iran oder Fotos von Verletzten in Moskauer Krankenhäusern. Die meisten Bilder waren farbig, so dass der Kiosk mir wie eine riesige tropische Blume vorkam - eine von der Sorte, die fauligen Fleischgestank ausdünsten,
um Fliegen anzulocken. Genau in der Mitte dieser makabren Blüte hing die Nesawissimaja gaseta , und darüber war die Kreuzworträtselsammlung Schwiegermutters Beste angeheftet worden.
Die Schlagzeile der Nesawissimaja war in riesigen unübersehbaren Lettern gesetzt: MAYA BEOBACHTEN UNS IMMER.
Der Lärm der Menge ebbte ab, übertönt von meinem donnernden Herzschlag. Ich lehnte mich an einen Laternenpfahl und blickte flehend zum Himmel, doch der hüllte sich in dichte, zottige Wolken. Als ich endlich den Mut fasste und erneut zu dem Stand hinsah, ruhte die unheilvolle Zeitung noch immer am selben Platz.
Nach einiger Überwindung bat ich den Verkäufer, mir die Nesawissimaja zu geben. Er blickte mich verwundert an - vielleicht kam es mir auch nur so vor -, worauf ich in einem plötzlichen Anfall von Scham, wie ein Jugendlicher, der sein erstes Kondom kauft, gleich noch ein paar weitere Zeitungen erstand, in der Hoffnung, die, um die es mir eigentlich ging, werde in dem Haufen untergehen und nicht jedermanns spöttische Blicke auf sich ziehen.
Erst als ich in der Metro auf dem aufgeschlitzten Kunstleder einer Sitzbank Platz genommen und mich überzeugt hatte, dass keiner der Nachbarn allzu große Neugier an den Tag legte, zog ich die Zeitung wieder hervor.
Lachhaft und erbärmlich, so fühlte ich mich, zerfressen von meiner indianischen Schizophrenie wie eine
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