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Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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ziemlicher Sicherheit waren dies die letzten Zeilen eines glücklosen Abenteurers, der qualvoll im Herzen der Selva verdurstet und verhungert war.
    Wer auch immer sie nach Jahren oder Jahrhunderten inmitten verfallener Gemäuer gefunden hatte, und welch mühselige Arbeit es ihn auch gekostet haben mochte, das Manuskript zu restaurieren - die Arbeit war umsonst gewesen. Von der »Chronik des Künftigen« war nur ein ganz gewöhnlicher Bericht übrig geblieben: Er war keineswegs ein magisches oder gar ewiges Dokument, sondern einfach ein Tagebuch, historisch, ja fast alltäglich - und somit vergänglich und eitel. Sein Verfasser hatte damit wohl die Gedanken an sein baldiges Ende verscheuchen wollen, die in seinem Kopf herumschwirrten wie Fliegen um eine Leiche. Jedenfalls hatte er nicht den Schleier vom großen Geheimnis des Weltuntergangs gelüftet - höchstens für einen kurzen Augenblick durch einen kleinen Spalt einen Blick darauf geworfen.

    Es war durchaus möglich, dass noch ein weiteres Kapitel existierte, doch konnte dieses nicht mehr enthalten als die verzweifelten und zunehmend verwirrten Schilderungen der letzten Stunden im Leben des sterbenden Konquistadoren. Er war nun mindestens genauso kraftlos und armselig wie ich. Ich war seinen Spuren in das tödliche Labyrinth gefolgt, hatte ihm voll und ganz vertraut - und war nun in jener Sackgasse gelandet, in der nur noch seine bleichen Knochen aufblitzten. Niemand war da, um mir den Rückweg zu zeigen, und die schweren Schritte des nahenden Minotaurus wurden immer lauter …
    Wie hatte er nur in diese Falle tappen können? Warum war er so leichtsinnig gewesen? Warum hatte er die größte Gefahr nicht vorausgesehen, nicht auf die Warnungen gehört, nicht das verräterische Ränkespiel Fray Joaquíns und seines stiernackigen Komplizen Aguilar durchschaut? Immerhin hatte er nicht nur für sein eigenes Leben Verantwortung übernommen!
    Mit einer wütenden Bewegung wischte ich die Seiten meiner Rohübersetzung mitsamt den Originalblättern vom Tisch und schlug mit geballter Faust auf die Tischplatte, dass das alte Holz ächzte.
    Die ganze Geschichte kam mir wie ein teuflisches Spiel vor, das schläfrige Dämonen und staubige Götzen mit den erstbesten Sterblichen angefangen hatten, um ihrer jahrhundertealten Langeweile zu entkommen. Ich hatte nach dem gegriffen, was den Göttern zustand, dabei stand mir wohl noch nicht einmal zu, was des Kaisers war. Der himmlische Olymp amüsiert sich vermutlich ganz ordentlich auf meine Kosten - ich war sozusagen das komische Element
in dieser kosmischen Tragödie, die unaufhaltsam auf ihr Ende zusteuerte.
    Ich blickte auf die zerstreuten Blätter am Boden. Am liebsten hätte ich sie bespuckt. Zum Teufel mit all den toten Indios und ihren undurchschaubaren Scharaden! Diese ganzen Pyramiden, Waldgeister, schwefelstinkenden Franziskaner und geharnischten Mordsgesellen konnten mir ein für alle Mal gestohlen bleiben! Ins Feuer mit allen Chroniken, Prophezeiungen, Rindenbüchern und Götzenstatuen!
    Die Wut verdrängte meine Angst, und so stülpte ich meine Ohrenklappenmütze auf und verließ die Wohnung: Es war Silvester, und im Kühlschrank war es leer wie in einem landeskundlichen Museum in der Provinz.
     
    Kartoffeln, Kochwurst, Eier, Salzgurken und Mayonnaise für sich genommen sind nichts weiter als Lebensmittel, doch in der Kombination sind sie das beste Beispiel für die Alchemie des Alltagslebens, der zufolge das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Der Oliviersalat ist für jeden postsowjetischen Menschen nicht nur einfach ein Salat, sondern ein Kultsymbol, dessen Assoziationskette länger ist als die Kremlmauer. Und für mich würde er an diesem Abend zusammen mit dem traditionellen Champagner, einer Dose rotem Kaviar und ein paar Mandarinen der Anker sein, den meine sturmgebeutelte Karavelle im Hafen der Realität auswerfen würde. Die Kreuzfahrt war vorbei. Ich kehrte heim.
    Nun wollte ich mich wieder wie ein normaler Bürger fühlen und mich fröhlich in den Stress der Neujahrsvorbereitungen stürzen. Ich beabsichtigte, so zu tun, als hätte es
die letzten Wochen in meinem Leben gar nicht gegeben; einmal keine anderen Sorgen zu haben als die, nicht mehr für alle Freunde rechtzeitig die Geschenke zusammenzubekommen. Ich wollte mich nicht mehr vor der nahenden, unvermeidlichen Apokalypse fürchten müssen; mich auf das große Fest freuen und nicht darüber, dass ich wieder einmal meinen Verfolgern entkommen war.

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