Sumerki - Daemmerung Roman
Sequoia von einem Borkenkäfer! Der Artikel war überschrieben: MAYA PLISSEZKAJA UND DER KGB: ›ICH WUSSTE, SIE BEOBACHTEN UNS IMMER‹.
Die Überschrift war so gesetzt, dass das darüberhängende Rätselheft einen Teil der Worte samt dem Foto der Primaballerina verdeckt hatte. Zur Sicherheit durchforschte ich jeden einzelnen Satz, doch war darin natürlich weder von Pyramiden noch von Priestern oder Konquistadoren die Rede. Es war nichts weiter als ein auszugsweiser Vorabdruck aus den Memoiren der Tänzerin, in dem es über ihre Beziehung zu dem Komponisten Rodion Schtschedrin sowie das Verhältnis zur Staatssicherheit in jener Zeit ging, als die beiden Stars ihre ersten Gastspiele im Ausland antraten.
Beruhigt und enttäuscht zugleich begann ich die anderen Zeitungen durchzublättern. Neben zahllosen Reportagen von den Erdbebenschauplätzen in Russland, Europa und Nahost, kleinlauten Kommentaren von Seismologen, hypnotischen Auftritten von Ministern und Bürgermeistern, die alles daransetzten, die Bevölkerung zu beruhigen, sowie aktualisierten Auslegungen der Nostradamischen Vierzeiler stieß ich auch auf Beiträge von Autoren, die buchstäblich hinter dem Mond zu leben schienen, da sie von den jüngsten Ereignissen vollkommen unberührt wirkten.
Der erste Artikel dieser Art nahm eine ganze Doppelseite des Kommersant ein. Es ging um den Entwurf eines gigantischen Monuments, der vor kurzem von der Moskauer Stadtregierung verabschiedet worden war. Der Beschluss lautete, auf der Aussichtsplattform der Sperlingsberge ein dreihundert Meter langes Bronzemodell des sowjetischen Jagdflugzeugs La-5 aufzustellen, zum Gedenken an die heldenhaften Flieger, die während des Großen Vaterländischen Krieges die Hauptstadt vor den faschistischen Geiern geschützt
hatten. Die »faschistischen Geier« waren hier nicht einmal in Anführungszeichen gesetzt, so dass ich erst blinzelte und dann den Satz noch einmal las. Die einzigartige Konstruktion des Denkmals, die ein großer britischer Bildhauer entworfen hatte, war derart raffiniert, dass der Kampfjet fast zur Gänze über der Stadt zu schweben schien. Der Autor hielt es zudem für nötig, hervorzuheben, dass das Ausmaß der von den enormen Flügeln überschatteten Fläche mehrere Quadratkilometer betragen würde, während im Rumpf ein großer Ausstellungsraum sowie mehrere Hörsäle für die MGU-Studenten vorgesehen waren. Die Bauzeit des Monuments wurde auf ein Jahr veranschlagt, die dafür nötigen Mittel hatte man bereits bei patriotisch gesinnten Großindustriellen eingetrieben.
Im zweiten Beitrag ging es um die feierliche Eröffnung des Gedenkmuseums für Walentina Anissimowa (Knorosowa) in Moskau, wofür an der Stelle einiger abgerissener historischer Gebäude ein beeindruckendes Bauwerk nach aufwändigen Entwürfen errichtet worden war.
Zuerst ließ ich diese Notiz links liegen und fuhr hastig fort, die Ausgabe nach verborgenen Anzeichen des heraufziehenden Ragnarök zu durchkämmen, doch schon bald spürte ich ein seltsames Ziehen im Bauch, und meine Finger blätterten wie von selbst wieder zurück.
Der Name »Knorosowa« war mir schon einmal untergekommen. Die Puppenspielerin, die »ihr ganzes Leben aufopferungsvoll für das Theater und die Familie hingegeben« hatte, wurde nun, zehn Jahre nach ihrem Tode, mit einem Mausoleum geehrt, das, einem beigefügten Foto nach zu urteilen, der letzten Ruhestätte Ho Chi Minhs kaum nachstand.
Aus morbider Neugier las ich den Artikel durch. Zwar lag Knorosowas Leichnam nicht in einem Kristallsarg in der Mitte des Museums aufgebahrt, aber trotzdem roch das Ganze doch ziemlich nach Personenkult, zumal der Reporter von einem »Tempel der Erinnerung an eine große Schauspielerin« sprach.
Zum öffentlich zugänglichen Teil des Museums gehörten eine respektable Sammlung aller Puppen, denen »die Anissimowa Leben eingehaucht« hatte, sowie Fotos zum Thema »Schule«, »Junge Jahre« und schließlich das »Familienarchiv« mit einer exakten Dokumentation ihre langjährigen Ehe mit einem gewissen Juri Knorosow, einem Ethnologen, der die Völker Mesoamerikas erforscht hatte. Ihre Lebensgeschichte kam mir unsäglich banal vor, und so verzweifelt ich mir auch die Schläfen rieb, ich begriff einfach nicht, womit die Anissimowa ein derart verehrungsvolles Verhalten seitens der Moskauer Stadtverwaltung verdient hatte. Allerdings konnte ich ebenso wenig verstehen, warum mich gerade dieser Artikel so in Bann geschlagen hatte.
Ich
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