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Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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unanfechtbare Glaube daran, dass die Welt zur Vernichtung verdammt sei und dass das genaue Datum ihres Untergangs von Sterblichen errechnet werden könne, entpuppte sich als eine Art höllisches Uhrwerk, das unter der Zivilisation der Maya vor sich hin tickte.
    Dieser Glaube verschaffte den Maya und Azteken zweifelsohne einen gewissen Vorteil gegenüber anderen Völkern: Sie hatten Zeit, sich auf den Jüngsten Tag vorzubereiten. Von besonderem Interesse
sind hierbei die apokalyptischen Vorstellungen der Azteken sowie der Tolteken bzw. der von ihnen eroberten und unter ihrem Einfluss stehenden Maya der späteren Zeit.
    Die Völker dieser Kulturen besaßen nämlich ebenso wie die Maya einen kreisförmigen Kalender mit 52-jährigem Zyklus. In diesen fügen sich die drei Systeme der Zeitrechnung ein, die bei den Maya gebräuchlich waren: der auf einem 260-tägigen Jahr basierende Ritualkalender (›Tzolk’in‹), eine Einheit von 360 Tagen (›Tun‹) sowie das 365-tägige Gemeinjahr (›Haab‹). Exakt 52 Jahre des Haab-Kalenders entsprachen 73 Tzolk’in, und genau an diesem Tag endeten auch alle drei Wochenformen - zu je 9, 13 und 20 Tagen. Der Kreis schloss sich also, und die Zählung begann von neuem. Die letzten Tage dieses großen 52-jährigen Zyklus waren für die Azteken und Tolteken eine Phase der Reinigung und Vorbereitung auf das mögliche Ende der Welt. Ihre Riten und Gebräuche sind von großem Interesse und können auch heute noch von Nutzen sein.
    In den letzten fünf Tagen des großen Zyklus hielt die Welt am Rand des Abgrunds inne. Kaum jemand wurde zur damaligen Zeit älter als sechzig Jahre, so dass sich dies in der Erinnerung so gut wie aller Indianer, die jene verfluchten Tage erlebten, zum ersten Mal ereignete. Dennoch vollzogen sie bis ins kleinste Detail die von ihren Ahnen zur Perfektion gebrachten Rituale, denn jeder von ihnen hielt das drohende Weltende nicht nur für real, sondern für mehr als wahrscheinlich.
    Im Vorfeld der Apokalypse wurde die Welt von bösen Geistern bevölkert. Sie traten aus den Wäldern hervor, sickerten durch Risse im Erdreich, kamen aus finsteren Tiefen an die Oberfläche, tauchten auf vom Grund der Flüsse und Seen. Sie blieben entweder unsichtbar oder nahmen sowohl menschliche als auch tierische Gestalt an. Eine
Begegnung mit so einem in Freiheit umherstreifenden Dämon konnte für einen unvorbereiteten Menschen Unglück, lange Krankheit, ja sogar den Tod bedeuten.
    Um sich vor diesen Geistern zu schützen, verwandelten die Indianer ihre Dörfer und Städte für fünf lange Tage gleichsam in spirituelle Festungen. Alle Einwohner verbargen sich in ihren Häusern und durften diese unter keinen Umständen verlassen. Ein besonderes Verbot galt für Kinder und schwangere Frauen. Nur erfahrene Krieger wagten sich nach draußen, bewaffnet mit besonderen Speeren, die mit einem Zauber gegen Dämonen belegt waren. Abwechselnd hielten sie Wache, patrouillierten Tag und Nacht durch die leeren Straßen ihrer Ortschaften, um die Dämonen abzuschrecken. Zu Beginn dieser merkwürdigen Periode wurden sämtliche Feuer gelöscht, damit das Licht und die Wärme der Flammen keine Geister anlockte, und alles Geschirr im Hause zerschlagen. Die gesamten fünf Tage verbrachte man mit der Vorbereitung auf das Ende der Welt: in Furcht, Demut und Gebet.
    In der fünften Nacht stiegen die Männer auf die Dächer ihrer Häuser, setzten sich so, dass sie nach Osten blickten, und erwarteten geduldig den Sonnenaufgang. Sie wagten es nicht, miteinander zu flüstern, sondern starrten unentwegt auf den schwarzen, leeren Horizont. Niemand wusste, ob das große Licht sich wieder über dem Weltgebilde erheben würde, welches demütig seine Hinrichtung erwartete. Jeder der Indianer war sich bewusst, dass die Sonne nie wieder aufgehen konnte und dass dann für immer Finsternis im Universum herrschen würde. Und dies würde das Ende der Welt einläuten, wie es in den heiligen Büchern geschrieben stand.
    Erst wenn die Indianer das Leuchten hinter den fernen, dunklen Hügeln und über den Kronen der Bäume erblickten, stiegen sie wieder herab und verkündeten ihren Familien die frohe Botschaft: Die
Finsternis war vertrieben und die Welt verschont worden - zumindest für die nächsten 52 Jahre.«
     
    Verzaubert von dem Bild, das Jagoniel mir gemalt hatte, verharrte ich reglos in der Küche, das Buch in der Hand. Die von ihm beschriebenen fünf furchtbaren Tage vor dem Ende der Welt erinnerten mich an mein

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