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Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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Wenn ich mich dann aus dem Augenwinkel darin verfing, fügte ich mich meist und trat für ein paar Sekunden näher heran, um mich mit dem trüben Altersblick dieses Möbelstücks zu betrachten und ihm etwas Futter zu geben.
    Einmal hatte der morsche Holzdübel das Gewicht des Spiegels nicht mehr ausgehalten, und er war aus einem Meter Höhe auf den Boden gekracht. Aber dank seiner hervorragenden Qualität war nur ein kleines Stück vom Rahmen abgesplittert. Es ließ sich ohne weiteres wieder ankleben, doch der Tischler hatte mich gewarnt, die nächste derartige Erschütterung könne für den Spiegel traurig enden.
    Dies war auch der Grund, warum mir seine nahezu unwesentliche Schieflage überhaupt aufgefallen war. Ich musste ihn zurechtrücken und überprüfen, ob sich wieder etwas gelockert hatte, möglicherweise infolge des Erdbebens. Vielleicht hatte ich ja vor lauter Angst sein knarzendes Holz für jene entfernten Stimmen gehalten?

    Bereits wenige Sekunden später hätte man mich nicht einmal mit glühenden Eisen dazu bringen können, den verhexten Spiegel zu berühren. Die Metamorphose, die sich an ihm vollzogen hatte, war mir völlig unbegreiflich. Sekundenlang stand ich davor und spürte, wie mir allmählich kalt wurde, während ich noch immer verzweifelt, aber vergeblich nach meinem Spiegelbild suchte …
    Die gläserne Oberfläche war vollkommen dunkel. Ich sah darin weder mein Gesicht noch die Flamme der gleichmäßig brennenden Kerze. Verblüfft hob ich sie hoch und senkte sie wieder, als wäre der Spiegel ein Fenster, auf dessen anderer Seite jemand mein geheimes Zeichen erwartete - dann brachte ich die Flamme ganz nah an die Scheibe. Kein Zweifel, die Spiegelfläche war noch da, doch hatte sie auf unerklärliche Weise ihre gewohnte Eigenschaft verloren.
    Ein aufkeimender Verdacht ließ mir das Blut in den Adern gefrieren: Und wenn es gar nicht am Spiegel lag? Mit einer Heftigkeit, die beinahe die Kerze erlöschen ließ, wandte ich mich dem Fenster zu. In der nächtlichen Finsternis tauchte mein Gesicht auf. Tiefrot, aus dem Dunkel herausgerissen von der unruhig rußenden Flamme, erinnerte es an eine angstverzerrte Maske aus dem griechischen Theater. Aber wenigstens hatte ich meinen Körper behalten, und dieser war immer noch imstande, auf spiegelnden Oberflächen zu reflektieren. Zumindest auf den meisten.
    Ich fasste wieder etwas Mut und beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen.
    Die glatte, schwarze Fläche schien alles Licht zu absorbieren. Anfangs hatte ich den Eindruck, dass in dem Spiegel
rein gar nichts zu sehen war, doch nachdem ich fünf oder sechs Minuten hineingestarrt hatte, bis mir die Augen schmerzten, glaubte ich irgendwo in der Ferne eine undeutliche Kontur zu erkennen. Als ich daraufhin die Kerze zur Seite hielt, um die Gestalt besser zu beleuchten, schien sie ihre Form verändert zu haben, als ob sich dort, im Innern, etwas bewegte …
    In mir rangen Furcht und Neugier miteinander. Es lockte mich, die dunkle Oberfläche zu berühren, wahrscheinlich würden sich von dort aus kreisförmige Wellen ausbreiten, und meine Hand würde darin versinken … Je länger ich vor dem Spiegel stand, desto mehr war ich davon überzeugt, dass die seltsame, ferne Silhouette keine Einbildung war. Allmählich füllte sie sich mit Leben, begann sich immer schneller zu bewegen, bis sie schließlich anfing wie rasend von einer Seite zur anderen zu springen, als wollte sie ein unsichtbares Hindernis überwinden, sich aus einer Gefangenschaft befreien.
    Entsetzt riss ich die Hand fort und fuhr zurück. Es gelang mir nicht zu erkennen, was es war: Kaum war ich vom Spiegel zurückgetreten, da begann der rätselhafte Fleck zu schwinden und sich in der Finsternis aufzulösen. Ehe ich einen neuen Versuch unternehmen konnte, klingelte in der Diele plötzlich das Telefon.
     
    Natürlich hatte ich nach all dem überhaupt nicht mehr an Neujahr gedacht, und in der angespannten Stille klang der Apparat viel lauter und schärfer als gewöhnlich, so dass ich vor Schreck erst mal heftig zusammenzuckte. Verdutzt blickte ich auf die Uhr (wenn man den Zeigern glauben
konnte, war es halb zwei), näherte mich vorsichtig dem rasselnden Apparat, und erst als ich in der Diele den Nadelgeruch meiner kleinen Tanne roch, fiel mir ein, dass mir noch niemand ein gutes Neues gewünscht hatte. Ich räusperte mich und hob ab. Ganz gleich, wer sich meiner erinnert hatte, ich würde so ruhig und fröhlich wie möglich darauf

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