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Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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zerschlagen? Wenn ich ihren Angriff schon nicht abwehren konnte, musste ich wenigstens versuchen mich zu verstecken …
    Ich schlich in den Flur hinaus, legte sämtliche Sicherungsschalter auf einmal um, riss noch einmal an der Türklinke, hängte die Kette ein, tastete mich in die Küche zurück, trank in einem Zug den restlichen Champagner und schleuderte den Kelch blindlings gegen die Kacheln über der Küchenplatte. Das Glas knackte leicht, und eine Garbe aus Scherben spritzte zu Boden. Ich setzte mich an den Rand des Sofas, erstarrte und lauschte mit meinem ganzen Körper.

    Die Hunde hatten sich beruhigt, und eine Zeitlang war nichts von draußen zu hören. Irgendein Besoffener brüllte das Volkslied vom erfrierenden Fuhrmann, es folgte eine längere Kanonade von Feuerwerkskörpern und Knallfröschen - dann trat wieder Stille ein. Im Treppenhaus und im Flur schien noch immer alles friedlich zu sein. Auch wenn sich meine Augen schon ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt hatten, war es mir ohne Licht doch sehr unheimlich. Aber wenn die indianischen Schutzmaßnahmen wirklich funktionierten, wäre es jetzt unverzeihlicher Leichtsinn gewesen, sie zu ignorieren.
    Nach zehn Minuten hielt ich es nicht mehr aus. Ich nahm eine Kerze vom Küchentisch und zündete sie an - was ich sogleich bereute.
    Aus meinem Zimmer - genauer gesagt, nicht aus dem Zimmer selbst, sondern von der Straße, aber durch das geöffnete Fenster in meinem Zimmer - ertönte ein ferner, gedämpfter Schrei. Der genaue Inhalt war nicht zu verstehen, doch glaubte ich spanische Worte zu erkennen. Vielleicht etwas wie ven aquí . Ich war mir nicht sicher. Aber in diesem Moment beschäftigte mich etwas ganz anderes. Das Fenster in meinem Zimmer hatte ich für den Winter sorgfältig mit Isolierstreifen abgeklebt, und auch die Lüftungsklappe oben war verschlossen - ich hatte den Schieber bei meinem abendlichen Rundgang eigens kontrolliert. Hatte es sich jetzt von selbst geöffnet? Aber wie? Oder kam das Geräusch etwa gar nicht von draußen?
    Trotz meines grenzenlosen Respekts für E. Jagoniel wagte ich es nicht, ohne Licht das Zimmer zu betreten. Ich riskierte die Enttarnung, hob das Tellerchen mit der von Wachs
überwucherten Kerze in die Höhe und ging los. In meinen Ohren dröhnten dumpf die riesigen Kriegstrommeln der Indios. Die Götter würden meine Zeugen sein, dass ich in jenem Moment auf alles gefasst war: darauf, dass sich ein wütender Jaguar auf mich stürzte oder dass ich dem unbarmherzigen Hüter der Maya-Gräber Auge in Auge gegenüberstehen würde …
    Doch dort war niemand. Ich hatte erwartet, wenigstens einen vom Wind geblähten Vorhang zu erblicken, denn das hätte bedeutet, dass sich die Lüftungsklappe doch geöffnet hatte und die seltsamen Geräusche vom Hof hereingedrungen waren. Doch im Zimmer herrschte absolute Windstille, und obwohl meine Nerven zum Zerreißen gespannt waren, gab es hier nichts Furchterregenderes als die verschnörkelten Schatten meiner antiken Möbel, die mit mir Versteck spielten. Nur der alte Spiegel an der Wand gegenüber hing etwas schief.
    Den Spiegel hatte mir noch meine Großmutter vermacht. Er war fast mannshoch, mit einem massiven, aufwändig geschnitzten, vergoldeten Rahmen. Weiß Gott, wie alt er war - meine Großmutter hatte ihn von ihren eigenen Eltern geerbt, zusammen mit den Geschirrschränken und Stühlen aus karelischer Birke. Mindestens 150 Jahre, hatte mir der Schätzer versichert.
    Ich benutzte ihn so gut wie nie, da er mit dem Alter ziemlich blind geworden war. Ehrlich gesagt hatte ich ihn nie besonders gemocht. Das Bild darin war immer etwas verschwommen und falsch, manchmal sogar - wenn man aus einem bestimmten Winkel schaute - leicht verzerrt, aber nicht auf komische Weise, sondern unangenehm, ekelhaft,
als betrachtete man eine in Formalin eingelegte Missgeburt in der Kunstkammer. Es war unmöglich, sich auf das eigene Spiegelbild zu konzentrieren - nach einer halben Minute schmerzten einem bereits die Augen. Den Spiegel aber einfach an irgendeinen Antiquitätenhändler zu verkaufen, verbot mir die Familienehre, weshalb ich mich darauf beschränkte, ihn an die hintere Wand zu versetzen, ganz in die Ecke, damit er mir so selten wie möglich unter die Augen kam. Dort hing er nun wie eine alte Spinne, die ihr feines Netz aus Reflektionen so gut sie konnte kreuz und quer durchs Zimmer spannte. Kam ich zufällig in seine Reichweite, zog die matt glänzende Fläche gierig meinen Blick auf sich.

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