Sumerki - Daemmerung Roman
trillernden Gesang wunderlicher, farbenfroher Vögel, lauschte am Lagerfeuer den Erzählungen der Soldaten.
Das Ende unserer Reise war nah. Sie hatte mich gestählt, mich zu einem anderen Menschen gemacht, mir neue, bedrohliche Horizonte eröffnet und mich - entsprechend den indianischen Weissagungen - mit dem Wissen über die nahende Apokalypse zugleich belohnt und verflucht.
Ich begriff, dass eine neue Phase meines Lebens angebrochen war, möglicherweise die letzte, in jedem Fall aber die wichtigste Phase. Mit jener seltsamen Gewissheit, mit der ich das endgültige Verschwinden von Akab Tsin festgestellt hatte, spürte ich: Sobald das graue Tor hinter mir zufallen würde, würde vieles in dieser Welt für mich seine Bedeutung verlieren, und die Begegnung, die mich dort erwartete, unter der Adresse ul. Izamny 23 , würde zum wichtigsten Ereignis meines Lebens werden.
Als ich fertig war, heftete ich sämtliche Seiten zusammen und steckte die Übersetzung in die inzwischen ziemlich beleibte braune Mappe. Ich nahm ein Bad, bügelte mein bestes weißes Hemd und holte meinen Anzug hervor, den ich schon viele Jahre nicht mehr getragen hatte. Ich leerte den letzten Rest Champagner, warf zum Abschied noch einmal
einen Blick auf meine geliebte Wohnung und machte das Licht aus.
Draußen war es erneut dunkel geworden; mit der hellen Tageszeit konnte ich mich offenbar einfach nicht anfreunden. Es wäre falsch zu behaupten, dass ich die Sonne nicht mochte - wir hatten nur eben einen sehr unterschiedlichen Rhythmus.
Zum Glück brannten im Gegensatz zu den jenseitigen Boulevards von gestern entlang der gesamten Itzamná-Straße helle Lampen. Der Hausnummer direkt am Tor nach zu urteilen hatte ich eine ziemlich weite Strecke vor mir. Ich konnte mich nur darüber wundern, dass so eine lange Gasse den Bewohnern der Stadt unbekannt geblieben war - nicht auszuschließen natürlich, dass bestimmte Kreise in Moskau sehr wohl von ihr wussten, genauso wie von der Existenz einer geheimen, für die Regierung reservierten U-Bahn-Linie und mehrerer funktionierender Kernreaktoren im Zentrum der Stadt.
Die Häuser zu beiden Seiten des teilweise aufgerissenen Pflasters hätten unterschiedlicher nicht sein können. Ich fragte mich unwillkürlich, wie sie es überhaupt nebeneinander aushielten. Da gab es echte Bauernhäuser aus von der Zeit geschwärzten Holzbalken, Altmoskauer Kaufmannsvillen mit der typischen weißen Fassadenumrandung, grobe Baracken mit abschüssigen Dächern und langen Reihen winziger Fenster, dann plötzlich Kolonialhäuser, gestrichen in fremdartig bunten Farben und mit blauen Fensterläden, als wären sie von Postkarten aus Kuba hierher verpflanzt worden, und schließlich, direkt daneben, die fünfstöckigen
Monolithen der ehemaligen Parteielite mit vier Meter hohen Zimmerdecken. Das Kopfsteinpflaster unter meinen Füßen war zuerst unmerklich in fest gefügte Betonplatten und dann in gewöhnlichen Asphalt übergegangen.
Auf der Straße selbst war niemand zu sehen, doch in vielen Fenstern brannte Licht, und dort waren menschliche Silhouetten zu erkennen. Es schien, als wäre ich in ein endloses Schattentheater geraten und wanderte jetzt von einer Bühne zur nächsten. Musik schallte durch die Luft, von »Rio Rita« und Utjossows klassischen Schlagern bis hin zu den Beatles und moderner Popmusik. Diese Häuser zu betrachten, in ihre Fenster hineinzublicken und dem Wechsel der Melodien zu lauschen war so faszinierend, dass ich gar nicht bemerkte, wie die dreistelligen Hausnummern allmählich in zweistellige übergingen. Die Häuser traten immer weiter auseinander und öffneten sich schließlich zu einem kleinen Platz, auf dem sich Gebäude in der mir bereits vertrauten Pyramidenform befanden.
Das riesige, einem altrömischen Palast ähnelnde Haus mit der Nummer 23 erhob sich unmittelbar vor mir, als ich den Platz betrat, während die geheimnisvoll exotischen Bauten weiter entfernt standen. Ich zügelte meine Neugier und blieb vor seiner Tür stehen. Sie war aus massivem Holz und sehr hoch, als sei sie nicht für Menschen gemacht, sondern für die Demiurgen der Zukunft. Solche Türen besaßen auch die sowjetischen Ministerien und die Eingänge der Metrostationen, die in der Stalinzeit erbaut worden waren.
Hinter dem Glasfenster der Tür hing ein Stück Pappe mit der Aufschrift: »Eingang zum W.-Anissimowa-Gedenkmuseum
auf der anderen Gebäudeseite«. Ich drückte dennoch die Klinke, und die Tür öffnete
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