Sumerki - Daemmerung Roman
Irrfahrt verdammte Seele des Majors dafür um Verzeihung zu bitten. Daran, dass ich auf diese Weise Indizien hinterließ, die mich zum Hauptverdächtigen machten, dachte ich in meinem Suff nicht. Und war es nicht egal, wenn die ganze Welt sowieso den Bach runterging?
Dann heulte ich, glaube ich, noch lange vor mich hin, schrie wütend zum Fenster hinaus, drohte dem düsteren und wortlosen Himmel, und als die Whiskeyflasche leer war, entkorkte ich den Champagner. Die Seiten aus dem Tagebuch und den fertigen Teil der Übersetzung ließ ich jedoch unberührt. Schließlich schlief ich im Badezimmer auf dem Boden ein, nachdem ich mich übergeben hatte.
Ich erwachte davon, dass mir jemand die Hand leckte. Mit Mühe hob ich meine geschwollenen Lider und versuchte die Krämpfe in meinem Magen zu beruhigen. Ich kroch an den Rand der Wanne und spritzte mir vielleicht fünf Minuten lang kaltes Wasser ins Gesicht, bis ich wieder einigermaßen denken konnte. Erst dann drehte ich mich um.
In der Mitte des Zimmers saß, freundlich mit dem Schwanz auf den Boden klopfend, mein Hund. Ich schlief also noch, obwohl mein Brummschädel ziemlich realistisch war. Alles wie im richtigen Leben, sogar die Sperenzchen, die mein Gleichgewichtssinn machte, als ich mich zu erheben versuchte.
Ganz aufgeregt saß er da, winselte ungeduldig, jeden Augenblick bereit aufzuspringen und sich auf mich zu stürzen, sobald ich ihm meine Aufmerksamkeit schenkte. Als ich ihn zärtlich im Nacken tätschelte, sprang er an mir hoch und leckte mir sogar die Nase ab. Dann lief er in den Flur hinaus, um gleich darauf mit der Leine zwischen den Zähnen zurückzukehren. Nun war ich sicher: Dies war ein Traum, und er lief nach dem üblichen Muster ab. Ich pries die Götter, denn die nächtliche Begegnung mit Nabattschikow auf dem Boulevard hatte mich davon überzeugt, dass die letzten Tage nichts als ein einziger Alptraum gewesen waren, unter dessen unerträglich drückender Decke ich vergeblich hervorzukriechen versuchte, weshalb ich aus Verzweiflung schon begonnen hatte, ihn für Wirklichkeit zu halten. Einen Traum im Traum konnte es ja nicht geben. Oder?
Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust, meine Wohnung zu verlassen. Doch mein Hund ließ nicht locker, sodass
ich schließlich nachgab. Es war ja doch nur ein Trugbild, und ich war schon lange nicht mehr mit ihm Gassi gegangen.
Die Häuser und Straßen waren keine Kulissen, wie oft in Träumen, sondern sahen echt aus - doch konnte ich nirgends Spuren eines Erdbebens erkennen. Graue, gesichtslose Gestalten - die üblichen Statisten meiner nächtlichen Visionen - gingen ringsum in großer Hast ihren illusorischen Geschäften nach. Nichts Besonderes also, ein Traum wie jeder andere, nur der Hund benahm sich seltsam.
Als ich ihn von der Leine ließ, begann er nicht fröhlich herumzutollen, sondern blickte mich bittend an, schnappte sich meinen Mantelschoß und zog daran, lief in eine bestimmte Richtung fort, kehrte wieder zurück und bellte mich vorwurfsvoll an, erbost ob meiner Begriffsstutzigkeit.
Er führte mich an den Ort, wo sich auf unbegreifliche Weise die pulsierenden, magischen Bahnen der ganzen Geschichte mit dem alten spanischen Buch verwoben: zu der alten Kinderbibliothek.
Das Tier lief um das Haus herum, blieb stocksteif vor einem hohen Eisentor stehen, das zwischen zwei alten, gelb getünchten Villen eingezwängt war, und begann laut zu bellen. Hätte es mich nicht hierhergeführt, mir wäre dieses Tor wohl kaum aufgefallen, denn es sah aus wie die Hofeinfahrt eines Lebensmittelgeschäfts oder einer staatlichen Einrichtung. Doch irgendetwas stimmte nicht damit; während ich dem Hundegebell lauschte, spürte ich, wie sich in meiner Erinnerung undeutliche, halb vergessene Bilder regten. Etwas mit Diego de Landa …
Es war die Geschichte mit dem Beschließer des Erzengel-Michael-Klosters in Maní. Das Bellen seiner Kettenhunde hatte ihn geweckt, und sie hatten ihn zu den geheimen Höhlen der Maya unweit der Kapelle geführt. Mit diesem Fund hatte vor fünf Jahrhunderten alles begonnen, wenn man Landa glauben konnte. Was hatte mein Hund wohl entdeckt? Das Tor war fest verschlossen, und ich konnte nicht sehen, was sich dahinter verbarg. Dennoch beschloss ich, gleich am nächsten Morgen hierher zurückzukehren. Zur Sicherheit biss ich mir in die Hand, damit mich der Abdruck meiner Zähne daran erinnerte. Im Traum tut man ja so manche unerklärlichen Dinge.
Zum zweiten Mal erwachte ich an
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