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Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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zunächst mit großer Aufmerksamkeit. Sein Blick brach sich in den dicken Gläsern seiner Brille, fokussierte sich zu eine- Strahlenbündel und kroch langsam über meinen Körper, so dass ich mich unwillkürlich zusammenkrümmte und die Augen abwandte.
    Obwohl sein Aufzug plump, ja fast schlampig war - abgewetzte braune Pantoffeln, Trainingshose und ein ziemlich schäbiger weißer Hausmantel -, machte er keineswegs einen heruntergekommenen oder auch nur unseriösen Eindruck. Wären nicht der bunte Haufen Tabletten auf dem Beistelltisch und die halb leere Infusionsflasche im Ständer gewesen, ich hätte geglaubt, nicht vor einem Kranken, sondern vor dem Chefarzt dieser seltsamen Ein-Bett-Klinik zu stehen.
    Den spartanischen Geist, in dem dieses Zimmer gehalten war, verwässerten eine Unmenge von Fotografien, die neben
dem Bett und dem Schreibtisch dicht an dicht an den Wänden hingen. Da gab es alte, braune Postkarten mit kalligrafischen Beschriftungen, schwarz-weiße Fotos aus den 70ern und moderne Schnappschüsse im Format 10 x 15. Fast alle Gesichter und Ansichten darauf kamen mir seltsam bekannt, ja fast vertraut vor, doch um diesen flüchtigen Eindruck zu erklären, hätte ich sie aus der Nähe betrachten müssen.
    Das Zimmer sah bewohnt aus, als hätte der Patient hier schon einige Zeit verbracht. Trotz der spärlichen, ja strengen Einrichtung gab es hie und da Versuche, sie etwas zu verschönern. Mitten im Zimmer stand eine Möbelgarnitur, die komplett aus einem sowjetischen Sanatorium geklaut zu sein schien: zwei alte Sessel mit polierten Holzlehnen und schaumstoffgepolsterten Sitzen sowie ein ebenfalls polierter runder Tisch mit einer ziemlich idiotischen Blumenvase darauf.
    In einer Ecke lief eine zerkratzte LP von Mireille Mathieu auf einem in Holzoptik laminierten elektrischen Plattenspieler. Die nasalen Geständnisse der französischen Sängerin verdünnten jedoch nicht lange die im Raum hängende Stille: Dem Plattenspieler schien die Musik selbst peinlich zu sein, also räusperte er sich und verstummte. Ich wusste nicht, wohin mit mir, also blickte ich meinen Gastgeber erneut an.
    Von unserer ersten Begegnung her hatte ich Knorosow zerbrechlicher und unsicherer in Erinnerung, aber ich hatte ihn ja kaum gesehen, oder er hatte absichtlich diesen Eindruck erweckt - jedenfalls sah er jetzt ganz anders aus. Obwohl von kleinem und hagerem Wuchs, wirkte er aufgrund
seiner militärisch aufrechten und steifen Haltung größer, als er in Wirklichkeit war. Anstelle des Rückgrats schien man diesem Alten ein Stück Bewehrungsstahl implantiert zu haben. Die scharfen, schweren Gesichtszüge und der unbewegliche Blick erinnerten mich an den vom Podest herabgestiegenen steinernen Komtur.
     
    »Verzeihen Sie, dass ich Sie so anstarre«, sagte er schließlich. »Ich kenne Sie nun schon so lange, aber von Angesicht zu Angesicht sind wir nur einmal gestanden, und selbst das begreife ich erst jetzt.«
    »Woher kennen Sie mich?«, erkundigte ich mich vorsichtig.
    »Ich … wie soll ich das sagen? Ich sehe Sie. Zusammen mit allem anderen. Aber Sie spielen eine sehr wichtige Rolle, was Sie natürlich inzwischen selbst vermuten.«
    Ich nickte unsicher. Es war mir zu peinlich zuzugeben, dass ich nach wie vor kaum etwas von all dem verstand.
    »Die Übersetzung der letzten Kapitel aus dem Buch, das ich Ihnen habe zukommen lassen, ist für mich von großer Bedeutung. Sie soll mir helfen zu verstehen, was mit mir vorgeht. Ehrlich gesagt fühle ich mich ziemlich unwohl dabei: Mein ganzes Leben habe ich die Maya erforscht, war Hunderte Male in Lateinamerika, Spanisch war wie eine zweite Muttersprache für mich - und auf einmal vergesse ich alles und verstehe nicht einmal mehr diesen simplen Text. Sobald ich ihn zur Hand nehme, geht alles durcheinander, und am Ende kommt nur ein einziges Kauderwelsch heraus. Immerhin bin ich noch auf die Idee gekommen,
einen Übersetzer anzuheuern. Als ich Sie zum ersten Mal sah, wusste ich gleich, dass nur Sie dieser Aufgabe gewachsen sind: mir zu erklären, was vor sich geht, und was uns erwartet.«
    »Aber ich …«
    »Doch, doch, Sie wissen das, natürlich. Sie müssen sich nur konzentrieren. Denken Sie darüber nach, ich setze einstweilen heißes Wasser auf - zum Glück funktioniert der Gasherd noch. Ich verlange keine unüberlegten Antworten von Ihnen. Das Gespräch, das uns bevorsteht, bedeutet mir zu viel, als dass ich meiner Ungeduld freien Lauf lassen könnte.«
    Ich hätte ihm sagen sollen,

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