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Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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derselben Stelle, und wieder verspürte ich die gleichen unausweichlichen Symptome eines heftigen Katers. Diesmal waren sie noch qualvoller. Und jetzt war ich wirklich wach. Unerträglicher Durst quälte mich, der Boden war völlig versaut, und in meinem Kopf rollte eine Eisenkugel hin und her, eine von der Sorte, die Stehaufmännchen in deren Innerem ausbalanciert, nur dass in meinem Fall genau der umgekehrte Effekt eintrat.
    Die Zahnspuren an meiner Hand brachten mir alles wieder in Erinnerung.
    In mir keimte eine zaghafte Hoffnung: Vielleicht hatte ich ja beide nächtlichen Ausflüge nur geträumt? Hatte mich gestern einfach wüst besoffen, und das war das Ergebnis gewesen? Doch da lagen sie, die Blätter des vorletzten Kapitels, ordentlich gestapelt auf meinem Schreibtisch. Dabei fiel mir auf, dass der Tisch inmitten des Trümmerhaufens,
den der Rest meines Zimmers darstellte, geradezu provozierend jungfräulich und aufgeräumt aussah - wie einst die schlaue, neutrale Schweiz im zerstörten Europa.
    Ein heißes Schamgefühl überkam mich zusammen mit dem Bedürfnis, mich zu übergeben, und ich schleppte mich zurück ins Bad. An arbeiten war in diesem Zustand nicht zu denken. Was ich jetzt brauchte, war frische Luft. Vielleicht schaffte ich es ja bis zur Bibliothek, um mich dort umzusehen. Wer weiß, womöglich befand sich dort tatsächlich jenes Tor, zu dem mich mein Hund geführt hatte.
    Schwankend wie ein todkranker Mann schleppte ich mich über den Arbat. Allmählich belebte sich die Straße wieder, und es war erstaunlich, wie schnell die Spuren des Erdbebens beseitigt wurden: Im Laufe des Morgens waren an fast allen beschädigten Häusern Baugerüste emporgewachsen, auf denen Gastarbeiter aus Mittelasien - oder waren es Indios? - hin und her liefen. Viele Gebäude erstrahlten bereits unter einem frischen Farbanstrich: Moskau, die große Hure, versuchte mit allen Kräften die Folgen der gestrigen Schläge unter einer dicken Schicht Make-up zu verbergen.
    Ehrlich gesagt hatte ich nicht die leiseste Hoffnung, auf der Rückseite der alten Bibliothek das graue Tor zu finden. Wie oft hatte mich mein Hund im Traum schon an nicht existente Orte geführt, mir nicht existente Gegenstände gebracht oder mich glauben gemacht, dass ich ihn quicklebendig antreffen würde, sobald ich erwachte.
    Das Tor stand genau an der geträumten Stelle. Mindestens drei Meter hoch, fest verschlossen, oben noch mit Stacheldraht abgesichert. Außer dem weißen »Ziegel« - dem
Einfahrtsverbotsschild - an einem der Torflügel gab es keinerlei Zeichen oder Aufschriften. Mit einem Wort: Alles war genauso wie in meinem Traum letzte Nacht.
    Mindestens zehn Minuten lang umkreiste ich das Tor, versuchte irgendwie hindurchzusehen und hatte dabei das Gefühl, dass jeden Augenblick ein Wachmann oder sogar ein bewaffneter Milizionär herauskommen würde, um meine Papiere zu kontrollieren, die ich natürlich ausgerechnet heute nicht bei mir trug.
    Nachdem ich mir diese peinliche Situation vorgestellt hatte, näherte ich mich endlich dem Tor selbst und zog daran. Es öffnete sich unerwartet leicht und gab eine enge, aber lange Gasse frei, deren Ende mit bloßem Auge nicht zu erkennen war. Sie schien gänzlich für den Straßenverkehr gesperrt zu sein. Am ersten Gebäude hing an einem Nagel ein schiefes Schild: ul. Izamny , und darunter die Hausnummer: 986 .
    Vorsichtig lehnte ich das Tor wieder an und holte tief Luft. Dann öffnete ich es wieder und blickte noch einmal hinein. Die Gasse war noch immer da, und auch das Schild war unverändert. Meine Schläfen begannen zu pochen, vor meinen Augen wirbelten heiße Schneeflocken. Ich hatte sie gefunden!
     
    Im Treppenhaus wartete kein Sonderkommando auf mich. Die Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Verschwinden des Majors zogen sich offenbar in die Länge. Doch die Miliz konnte jeden Augenblick bei mir auftauchen. Es war an der Zeit zu handeln.
    Ich spannte ein frisches Blatt Papier ein, schob den Wagen zur Seite und machte mich unter den Klängen einer selbst
komponierten Marschmelodie zu den Ufern Yucatáns auf. Nun, da ich im Voraus wusste, wie Casa del Lagartos Abenteuer ausgegangen war, konnte ich es mir leisten, über seine und meine Befürchtungen zu lachen, unsere Naivität zu beklagen und mich über unsere Blindheit zu wundern: Warum hatten wir das Komplott nicht von Anfang an durchschaut? Gemeinsam mit dem Konquistadoren atmete ich die betäubenden Düfte des Tropenwaldes, ergötzte mich am

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