Sumerki - Daemmerung Roman
er fast unhörbar. »Es hat mich so gepackt … Ich dachte schon, dies sei das Ende.«
»Ich habe Sie gesehen. Den echten … durchs Fenster. Es ist alles in Ordnung, man hat Sie gerettet.«
»Gerettet?« Er riss die Augen auf, und ich zuckte zurück aus Angst vor dem elektrischen Funkeln darin. »Sie spritzen mir Morphin. Mindestens eine Kilotonne Schmerzmittel. Aufgrund der ständigen Injektionen kann ich nicht zu mir kommen … Ich fühle mich wie in einer dieser Zementschüsseln, in denen die Mafiosi seinerzeit die Füße ihrer Schuldner einbetonierten, bevor sie sie in den Hudson warfen.
Ich habe keine Chance aufzutauchen. Ich sitze einfach fest in diesem endlosen Alptraum, und zwar lebenslänglich!«
»Was jetzt?«, fragte ich ratlos.
»Das müssen Sie mir sagen. Deshalb sind Sie hier.«
»Aber was soll ich tun? Was wollen Sie von mir?«
»Von der ersten Minute an, die ich hier in diesem Zimmer verbrachte, wusste ich, dass ich nicht zufällig hier gelandet war. Ich suchte etwas, wusste aber nicht, was. Ein extrem unangenehmes Gefühl. Es lässt einen nicht zur Ruhe kommen, treibt einen ständig an, und du beginnst zu grübeln, wühlst in Erinnerungen, Gedanken, auf der Suche nach dem, was du verloren hast. Also fuhr ich hinab ins Museum und suchte in sämtlichen Sälen - ohne Ergebnis. Ich lief die gesamte Itzamná-Straße ab, von meiner Geburt bis zu den letzten Jahren - nichts. Als ich begriff, dass ich schlafe und es mir nicht gelingt aufzuwachen, begann ich mich in der Stadt herumzutreiben - in der Leninbibliothek, den Archiven, auf den Straßen -, doch ich konnte es einfach nicht finden, das Gefühl des Verlusts ließ nicht nach, es brannte und brannte immer weiter in mir. Bis ich eines Tages ins Museum zurückkehrte und vor der Ausstellung zur Eschatologie der Maya stehen blieb. Dort lag auf dem Boden ein altes Buch herum: die Erzählung des Casa del Lagarto. Ich begriff augenblicklich: Das war es. Ich hatte es dort noch nie gesehen, dafür lege ich meine Hand ins Feuer - wahrscheinlich, weil ich bis dato noch nicht bereit gewesen war, es zu erhalten. Ich versuchte es zu lesen, doch es klappte nicht. Und das mir, der ich mein halbes Leben lang Spanisch gelernt hatte! Dank meiner guten Sprachkenntnisse
habe ich in Lateinamerika eine Menge Freundschaften geschlossen. Sogar Vorlesungen habe ich in dieser Sprache gehalten … Den Rest kennen Sie.«
»Aber warum haben Sie nicht gleich das ganze Buch ins Büro gebracht?«
»Sie spüren es doch selbst: Dies ist nicht irgendein altes Buch. Das Tagebuch von Luis Casa del Lagarto verfügt über eine außergewöhnliche Kraft, und mir sollte es zugleich Erläuterung und Anweisung sein. Daher musste ich seinen Inhalt allmählich erfassen, Kapitel für Kapitel. Und auch Sie selbst wären, obgleich Sie mir zur Übersetzung des Buches gesandt worden waren, nicht von Anfang an bereit gewesen für die letzten Seiten der Erzählung.«
»Ich - ein Gesandter? Aber ich war doch rein zufällig im Büro! Außerdem war es meine freie Entscheidung - ich hätte den Auftrag auch ablehnen können.«
Knorosow sammelte seinen Mut und erhob sich. Als er erschöpft weitersprach, schien es, als zweifelte er an meinen geistigen Fähigkeiten. »Unter diesen Umständen klingt Ihre Behauptung, Sie hätten frei entschieden, geradezu anrührend. Was das Büro Asbuka betrifft, so fiel meine Wahl darauf aus einem ganz konkreten Grund. Sie wissen vielleicht, dass sich dort einmal eine Kinderbibliothek befunden hat. Es gibt viel, was mich damit verbindet. Als Lida klein war, hat sie diese Bibliothek geliebt und mich oft dorthin geschleppt. Wenn wir hingingen, schnatterte sie meist vor sich hin, und ich antwortete ab und zu mechanisch, denn ich dachte oft über meine Arbeit nach. Und einmal, während sie gerade in ihren Häschen-Bilderbüchern blätterte, hatte ich tatsächlich eine Eingebung: Ich hatte den Schlüssel zum
Maya-Code gefunden. Und jetzt ist dort ein Übersetzungsbüro, das ist doch interessant …«
»Es wurde wieder geschlossen«, bemerkte ich.
»Ach ja. Aber daran war der arme Kerl selbst schuld. Dieses Wissen war nur für mich bestimmt - und für Sie natürlich -, niemand anderes hatte das Recht, seine Nase in etwas zu stecken, was nur mein Leben angeht … und meinen Tod.«
»Dann haben Sie …«
»Aber nein, wie oft soll ich das noch sagen? Meine Güte, ich bin doch nicht einmal mehr in der Lage, Spanisch zu verstehen, und ich weiß auch nicht, was ich in diesem
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