Sumerki - Daemmerung Roman
verfluchten Fiebertraum eigentlich suche. Und Sie glauben, dass ich irgendwelche Maya-Geister beschwören und Anschläge auf eingebildete Büroratten und neugierige Hausfrauen anzetteln könnte? Das alles geschieht von selbst, ich kann daran nichts ändern! Ich werde einfach nur immer weitergetragen von diesem reißenden, trüben Strom, und ich brauche Ihre Hilfe, um zu begreifen, was mich erwartet …«
Aber was konnte ich, nur eines von vielen Phantomen dieser gespenstischen kleinen Welt, für deren allmächtigen Herrscher tun? Wo sollte ich den heimlichen Hinweis suchen? Er behauptete ja, dass ich alles wisse, ich müsse nur nachdenken und mich erinnern … Und da ging mir plötzlich ein Licht auf.
»… Denn die Not der Welt liegt darin, dass ihr Gott siech darniederliegt, und somit auch die Welt vergeht. Der Herr liegt im Fieber, und seine Schöpfung fiebert ebenso. Gott stirbt, und mit ihm stirbt
alles, was er erschaffen hat. Doch es ist noch nicht zu spät …« Das waren die Worte des Jungen in der Metro gewesen.
Er lag vor meinen Augen im Sterben, denn die Metastasen ergriffen allmählich von seinem Körper und seinem Gehirn Besitz. Die vernichtenden Erdbeben, Tsunamis und Orkane waren nichts weiter als Repliken seiner Krämpfe, das Echo seiner Schmerzanfälle. Die Prophezeiung, die ich gehört hatte, war nicht nur irgendein literarischer Manierismus der Maya-Priester, sondern eine ungeheure Metapher für die konkreten physiologischen Prozesse, die Knorosow-Itzamná und das in seinem Bewusstsein verborgene Universum allmählich vernichteten.
»Nicht zu spät …« Um was zu tun? Ihn zu retten? Doch wie?
»Ich sehe, Sie beginnen bereits zu begreifen«, bemerkte der Alte, der mein Schwanken beobachtet hatte. »Das ist sehr wichtig, denn Sie werden mir die letzten Kapitel des Buches nicht nur vorlesen, sondern auch auslegen müssen. Wenn Sie erlauben, erzähle ich Ihnen, was passierte, bevor ich in dieses Zimmer kam. Vielleicht trägt das ja dazu bei … Alles begann vor gut drei Monaten. Migräne, Schwindelanfälle … War irgendwas mit meinen Gefäßen nicht in Ordnung? Da sitzt du beim Arzt, beschreibst deine Symptome, denkst, dass man dir ein paar Tabletten und weniger Stress verschreibt, doch stattdessen überweist er dich zum Onkologen. Du schaust ihn an wie ein geprügelter Hund, ziehst jämmerlich den Schwanz ein und fragst: Herr Doktor, es ist doch nichts Schlimmes, oder? Worauf er dich nur streng anblickt und dir rät, die Untersuchungen nicht zu lange hinauszuzögern. Nichts ist schlimmer als die paar Tage zwischen
dieser Prozedur und dem Augenblick, da du anrufst, um die Ergebnisse zu erfahren. Du zerfleischst dich, schwankst zwischen Verzweiflung und Hoffnung, redest dir ein, dass alles gut wird, und findest in den Medizinlexika mindestens ein Dutzend Beweise dafür. Dann greifst du in einem Anfall von Argwohn erneut nach irgendeiner Enzyklopädie, und die prophezeit dir die furchtbarsten Dinge. Da du deine Familie nicht ängstigen und deine Freunde nicht in Verlegenheit bringen willst, behältst du es für dich, obwohl du es so dringend jemandem erzählen möchtest, denn diese Bedrohung verbrennt dich von innen heraus. Und wenn dir dann der Begriff ›bösartiger Hirntumor‹ aus dem Hörer entgegenschallt, wirst du zu einer wandelnden Leiche. Über die Toten nur Gutes. Und so verändern sich all deine Verwandten, sobald sie von deiner Erkrankung erfahren - ja, das Wort ›Krebs‹ ist augenblicklich tabu, nur noch das Wort ›Erkrankung‹ ist erlaubt, als würde das deine Heilungschancen erhöhen. Sie streiten nicht mehr mit dir, sondern versuchen dich ständig aufzumuntern und von düsteren Gedanken abzulenken. Doch der Todesengel hat bereits deine Stirn geküsst, und der Abdruck seiner Lippen ist für alle sichtbar. Die Fröhlichkeit wirkt gezwungen, das Lächeln verkrampft, die Stimmen unnatürlich sanft, und die Menschen wollen auf einmal nicht mehr lang bei dir sein. Und auch du selbst empfindest dich als aussätzig, beginnst deine Freunde zu meiden, um sie nicht mit deiner Anwesenheit zu belasten. Wissen Sie, das ist wie bei den Elefanten. Wenn die spüren, dass ihr Tod naht, verlassen sie die Herde und gehen an einen besonderen Ort, um dort ihren letzten Atemzug zu tun … Die Maya haben mich schon oft gerettet.
Bereits nach dem Tod meiner Frau hatte ich mich kopfüber in die Arbeit gestürzt. Und auch als ich erfuhr, wie schwer krank ich bin, fand ich bei den Indios meine letzte
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