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Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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schwarz-weiße Abzüge, der Beschriftung zufolge von seinen Eltern sowie irgendwelchen unbekannten Personen. Die geliebte Tochter: in jeder Lebensphase, von der Geburt bis heute.
    Dort er selbst, schon sehr alt, neben einer kleinen Kirche. Und dort überquerte er gerade den Hof eines verfallenen Klosters mit weißen Mauern, im würdevollen Gespräch mit einem seriösen, aber freundlich dreinblickenden Popen.

    Viele der Menschen auf seinen Bildern erinnerten mich an international bekannte Politiker, Filmstars und Wissenschaftler, doch konnten sie es unmöglich selber sein aufgrund der zeitlichen Unvereinbarkeit ihrer Leben mit der aufgenommenen Situation. So war zum Beispiel einer der Jagdflugzeugpiloten aus dem Jahr 1945 kaum zu unterscheiden von einem äußerst populären, zeitgenössischen, amerikanischen Sänger.
    Je länger ich diese Bilder betrachtete, desto offensichtlicher wurden mir die Parallelen, die zwischen den entscheidenden Meilensteinen in Knorosows Leben, den für sein Schicksal bestimmenden Menschen einerseits und gewissen allgemeinen Merkmalen der heutigen Wirklichkeit - vor allem in unserem, aber auch in anderen Ländern - andererseits bestanden. Die gesamte mir bekannte Welt schien von der Persönlichkeit dieses geheimnisvollen alten Mannes geprägt zu sein.
     
    Es war dieser Augenblick, da ich endgültig begriff, dass er mich weder angelogen hatte noch einer Wahnvorstellung nachhing. Ich könnte jetzt behaupten, dass in meinem Gehirn - und es war mir doch lieber, es als mein eigenes zu bezeichnen - großartige Prozesse in Bewegung gerieten, deren Ausmaß dem der Entstehung oder dem Untergang ganzer Galaxien in nichts nachstand. Immerhin überdachte und schuf ich nun mein Weltbild vollkommen neu, während das alte an Form und Inhalt verlor, in sich zusammenstürzte und vom Winde verweht wurde wie eine ausgetrocknete Skulptur aus Sand.
    Doch es war ganz anders: Ich glaubte einfach an diese Möglichkeit.

    Im 20. Jahrhundert, als die materialistische Propaganda die triumphale Symbiose von Wissenschaft und Technik verkündete, begannen religiöse und mystische Dogmen, die von einem aus dünnen Sphären aufgebauten Weltgebilde ausgingen, stark an Einfluss einzubüßen.
    Dennoch ist noch heute jeder Mensch mehr oder weniger bereit anzunehmen, dass alles, was er um sich herum sieht, nur insofern besteht, als er selbst existiert und er diese Wirklichkeit (sofern dieser Begriff hier überhaupt angebracht ist) selbst wahrnehmen kann. Die Zahl der Philosophen, die sich mit diesem eleganten theoretischen Konstrukt einen Namen gemacht haben, verhält sich proportional zum Grad seiner Unbeweisbarkeit und seiner enormen Attraktivität.
    Doch wenn wir davon ausgehen, dass sich die gesamte uns umgebende Welt in unserem Kopf befindet - was hindert uns dann, noch einen Schritt weiterzugehen und uns mit einer noch kühneren Hypothese anzufreunden: Was, wenn dieser Kopf gar nicht unser eigener ist, sondern ein fremder?
    Die religiösen Freidenker - insbesondere die Anhänger östlicher Glaubensvorstellungen - schließen nicht aus, dass das gesamte Weltgebilde von einem großen, allumfassenden, göttlichen Bewusstsein gleich einem Gefäß umschlossen ist. Ein Grund dafür mag durchaus jener ureigene Stolz des Menschen sein: Er ist nur dann bereit, seine Ichbezogenheit zu opfern, wenn er dadurch eines Wesens teilhaftig wird, das ungleich mächtiger, schöner und großartiger ist als er selbst.
    Doch wer kann schon, ohne einen Augenblick zu zögern, ausschließen, dass dieses Gefäß eben nicht das unendliche,
von gleißend hellem Licht erfüllte Bewusstsein Buddhas oder Jehovas ist, sondern das enge, nach alten Banknoten und Mottenkugeln riechende »Ich« eines einsamen, nostalgisch gestimmten Rentners, der im Begriff ist, an Hirnkrebs zugrunde zu gehen? Dies wäre zumindest eine Erklärung für eine Reihe von Phänomenen der heutigen Zeit …
     
    Nach einem weiteren Blick aus dem Fenster stellte ich fest, dass sich der Zustand des dort unten liegenden Alten offenbar stabilisiert hatte. Die brownschen Bewegungen der Krankenschwestern und Ärzte hatten sich verlangsamt, und das Zimmer leerte sich. Gleichzeitig nahm auch die Gewalt der Erdstöße ab, die das Museumsgebäude ins Schwanken gebracht hatten. Ich zog den Vorhang wieder zu und trat auf den Fahrstuhlvorplatz hinaus. Knorosow saß auf dem Boden, an die Wand gelehnt, die Lider erschöpft gesenkt.
    »Wie geht es Ihnen?«
    »Ich bitte um Verzeihung«, antwortete

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