Sumerki - Daemmerung Roman
unerwarteter Heftigkeit.
Ich biss mir auf die Lippen und fragte: »Und Sie wissen auch nicht, wann der nächste Teil kommt?«
Der Angestellte blinzelte und sagte gedehnt, als bereite ihm jedes Wort unendliche Mühe: »Gar nicht. Wir arbeiten nicht mehr mit diesem Auftraggeber zusammen.«
Kleine Sterne begannen vor meinen Augen aufzublitzen, und der Boden schien unter meinen Füßen wegzurutschen. Ich hielt mich an der Theke fest, atmete tief durch, schüttelte den Kopf und versuchte meine Gedanken zu ordnen.
»Was heißt das: Sie arbeiten nicht mehr mit ihm zusammen?«
»Überhaupt nicht mehr. Und Ihnen rate ich das Gleiche. Die Miliz war heute bei uns.« Wieder hielt er nachdenklich inne.
»Was hat denn die Miliz damit zu tun?«
»Das war nicht nur einfach die Miliz, sondern die Kriminalabteilung. Sie haben mich ausgefragt, was für Übersetzungen wir machen. Das käme doch alles von so weit her, ob es da nicht manchmal seltsame Aufträge gebe, vielleicht Unterlagen aus der Rüstungsindustrie oder Ähnliches …«
Ich lächelte und versuchte die Atmosphäre etwas zu entspannen: »Wer gibt denn geheime Unterlagen zur Übersetzung in ein gewöhnliches Büro?«
Mein Gegenüber schien jedoch nicht zu Scherzen aufgelegt zu sein.
»Das hab ich auch gesagt. Aber dann wollten sie wissen, wie lange unser Spanischübersetzer schon für uns arbeitet, was für ein Mensch er war, ob wir mit ihm auch privat Kontakt hatten, wie schnell er seine Übersetzungen ablieferte, ob es Beschwerden der Auftraggeber über ihn gegeben hätte und so weiter.«
»Soll das heißen, dass ihm doch was passiert ist?«
»Er ist spurlos verschwunden. Einen Tag, bevor Sie den zweiten Teil der Übersetzung abgeholt haben.«
»Und was sagt die Miliz?«
Er reagierte seltsam zerstreut: »Das muss aber unter uns bleiben, ja? Ich erzähle Ihnen das nur, weil Sie mit der Sache zu tun haben. Ich musste nämlich eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben … Na egal, Sie werden ja wohl nicht mit der Miliz … Jedenfalls hat dieser Übersetzer allein gelebt, deswegen hat zunächst keiner seine Abwesenheit bemerkt. Irgendwann haben dann anscheinend Verwandte erfolglos versucht, ihn telefonisch zu erreichen. Als sie ihn schließlich zu Hause besuchten, war die Tür nicht abgeschlossen. Seine Habseligkeiten waren unberührt, aber der Mann war fort. Die Miliz hat die Vermisstenmeldung nicht gleich aufgenommen. Das ist so üblich: Erst wartet man ein paar Tage, denn oft tauchen die Leute ja von selbst wieder auf. Der Übersetzer aber nicht.«
»Und was haben Sie und ich damit zu tun?«
»Das alles hängt wohl am ehesten mit seiner Arbeit zusammen. Ein Privatleben hatte er nicht, auch keine Feinde, er schuldete niemandem was, und ausgeraubt hat ihn auch keiner - fast alles war noch an Ort und Stelle.«
»Wieso ›fast‹?«
»Ich habe dem Beamten von der letzten Übersetzung erzählt … Sie ist nicht dort, verstehen Sie? Der Typ ist weg und mit ihm diese verfluchte Mappe. Keinerlei Spuren. Und deshalb wollte die Miliz von mir wissen, wer der Auftraggeber ist, wie er ausgesehen hat, warum er so viel gezahlt hat und was in der Mappe war.«
»Und?«
Er schwieg lange und blickte mich misstrauisch an. Dann sagte er mit gedämpfter Stimme: »Ich hab nichts über Sie gesagt, verstehen Sie? Mit Ihnen lief es ja gut … Ich kann nämlich keine Unannehmlichkeiten brauchen. Man will uns hier sowieso unter Beobachtung stellen, und bei den Kunden gibt es schon Gerüchte wegen dem ganzen Mist. Am besten, Sie kommen eine Weile nicht mehr hierher, bis sich alles beruhigt hat. Vielleicht taucht er ja doch noch auf …«
Seine Geschichte machte mir keine Angst. Dem Mann konnte alles Mögliche passiert sein. Vielleicht war er Zigaretten holen gegangen und von einem Bus überfahren worden. Und jetzt lag er irgendwo mit einem Namenszettel am großen Zeh herum. Was hatte das mit meinem Buch zu tun?
»Haben Sie denn gar keine Informationen über den Kunden? Das Auftragsformular oder eine Visitenkarte?« Inzwischen war es mir endgültig egal, ob der Bürofritze mein Interesse für verdächtig hielt oder nicht.
Er runzelte die Stirn und antwortete: »Schon, aber das hat die Miliz alles konfisziert. Sie wollen doch nicht etwa …«
»Sie könnten mir doch wenigstens sagen, wie der Auftraggeber aussah?« Was mir diese Information bringen sollte, war mir allerdings völlig schleierhaft.
»Ein älterer Herr mit Brille, ein Intellektueller … Nichts Besonderes.«
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