Sumerki - Daemmerung Roman
früher Menschenopfer vollzogen, versetzte Diego de Landa in Raserei. Er erörterte die Situation mit den anderen Franziskanerbrüdern sowie mit den Behörden der weltlichen Macht und beschloss, dem Heidentum in der ihm anvertrauten Region ein für alle Mal ein Ende zu setzen. Für dessen Ausrottung sah Landa kein geeigneteres Mittel, als sämtliche kultischen Objekte sowie die Erinnerung daran zu vernichten, und befahl, man solle aus dem gesamten Umkreis Götzenbilder, Bücher aus Hirschleder oder Rinde und vieles andere nach Maní zusammentragen. Eine unvollständige Auflistung der Gegenstände, die auf dem Hauptplatz von Maní am 12. Juli 1562 auf einen Haufen geworfen wurden, wurde im 19. Jahrhundert von dem spanischen Wissenschaftler Dr. Justo Sierra veröffentlicht. Er spricht von 5.000 Statuen unterschiedlicher Form und Größe, 13
großen Altarsteinen, 22 kleinen, mit Hieroglyphen verzierten Steinen, 27 Schriftrollen, die ebenfalls Hieroglyphen und Zeichen enthielten, sowie 197 rituellen Gefäßen. Es ist davon auszugehen, dass die Inquisition in Wahrheit eine noch wesentlich größere Zahl an Objekten, insbesondere Bücher, in ihre Hände bekam. In jedem Fall wurden sie alle an jenem denkwürdigen Morgen des 12. Juli 1562 zertrümmert beziehungsweise verbrannt. Mit einem einzigen, präzise geführten Schlag gelang es dem Franziskanermönch Diego de Landa, zehn Jahrhunderte der Geschichte des großen Volkes der Maya in Staub und Asche zu verwandeln.
Der Schaden, den er damit anrichtete, ist so unermesslich wie die Lücke, die sich durch ihn in der kulturellen Schatzkammer der Menschheit aufgetan hat. Es genügt zu erwähnen, dass es de Landa und seinen Handlangern in ihrem fanatischen Glaubenseifer gelang, fast alle Chroniken der Maya sowie deren religiöse Bücher und literarische Werke zu vernichten. Nur drei Maya-Handschriften haben diese Katastrophe überlebt. Heute sind sie als Pariser, Dresdner und Madrider Kodizes bekannt, benannt nach den Städten, in deren Bibliotheken sie aufbewahrt werden. Weitere wichtige Chroniken sind die im 16. Jahrhundert in der Sprache der Maya, jedoch in lateinischer Schrift verfassten Chilam-Balam-Bücher. Natürlich sind auch Inschriften auf Stelen und architektonischen Denkmalen erhalten, die sich noch immer im Dschungel Yucatáns befinden, doch steht außer Zweifel, dass der größte Teil des Wissens, das die verbrannten Bücher enthielten, für die Menschheit unwiederbringlich verloren gegangen ist.
Was war Diego de Landas Motiv? Ist er für das, was er tat, zu verurteilen? Zu bedenken ist, dass zu der Zeit, als die Franziskaner in Mittelamerika Fuß zu fassen versuchten, die indianischen Stämme, die diese Regionen bewohnten, oft grausame religiöse Praktiken verfolgten. Vielleicht gilt dies eher für die kriegerischen Azteken, denn für
die Maya-Stämme, doch waren in fast allen Kulturen Mittelamerikas Menschenopfer - diese bei den Azteken in geradezu erschreckendem Maße - sowie rituelle Selbstverstümmelungen weit verbreitet. Berücksichtigt man zudem die wenig einnehmenden, ja manchmal sogar offen furchterregenden Darstellungen der indianischen Götter, so verwundert es nicht, dass diese Religionen den christlichen Geistlichen wie satanische Kulte erschienen und die Franziskanermönche all jene Götzen und gottgleichen Helden, denen die Maya und andere Völker Westindiens huldigten, für Dämonen hielten.
Insofern gründete sich Fray de Landas Bestreben, das Heidentum unter den Ureinwohnern auszurotten, in seiner absoluten Überzeugung, dass er eine Schlacht gegen die reinste Manifestation des Bösen auf Erden führte. Keine geringe Rolle spielt dabei die Tatsache, dass die zum Katholizismus konvertierten Indios wesentlich zuverlässiger und loyaler waren als jene, die starrköpfig dem Glauben ihrer Väter anhingen. Indem sie Ureinwohnern das Christentum aufoktroyierten, festigten die Spanier ihre Position als Kolonisten.
Es wäre naiv zu behaupten, dass auf den Scheiterhaufen nur Bücher und Götzenbilder brannten. Wir wissen aus gesicherten Quellen, dass jene Ureinwohner, die sich weigerten, ihrem Glauben zu entsagen, gefoltert und grausam geschlagen wurden und dass viele von ihnen auf schreckliche Weise zu Tode kamen.
Bemerkenswert ist dabei Folgendes: In der kurzen Zeit, die seit Cortés’ Eroberungen vergangen war, hatte die spanische Gesellschaft auf unerklärliche Weise eine Phase ihrer moralischen Evolution erreicht, in der Reflexion und Reue
Weitere Kostenlose Bücher