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Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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etwas zurückzubleiben, damit unsere Gefährten uns nicht hörten, und mir mitteilte, dass in einigen Gebieten der Maya, insbesondere in Mayapán, Yaxuna und Tulum, spanische Soldaten Bücher und Götzen der Indios verbrannt hätten. Dass dieser Hernán González mich fragte, warum sie so handelten und ob ich einen ähnlichen Befehl habe. Dass ich, obwohl ich bereits ahnte, warum uns Fray Diego de Landa zu diesem Marsch abgeordnet hatte, dem zweiten Führer dennoch ebenso antwortete wie dem ersten, nämlich, dass Fray de Landa nicht von mir gefordert habe, Manuskripte und Statuen zu verbrennen, sondern sie heil und unversehrt nach Maní zu bringen, und ich wisse nicht, zu welchem Zweck.

    Dass ich am folgenden Tage mit meinen Kompagnons, den Señores de Aguilar und Núñez de Balboa sprach und erfuhr, dass unsere indianischen Führer sie das Gleiche gefragt hatten, doch weder der eine noch der andere mehr über die Ziele unserer Expedition wusste als ich; und dass ich, dem Befehl Fray de Landas sowie der Stimme meines Schutzengels folgend, ihnen nichts von meinen Vermutungen berichtete. Dass sich später herausstellte, dass diese Vermutungen nur zu einem Teil der Wahrheit entsprachen, und diese viel unfassbarer und düsterer war, als ich zu glauben gewagt hatte …«
     
    Ich legte die Blätter und das Wörterbuch beiseite und blickte auf die Uhr: Die Zeiger standen auf halb zwei. Mein Hals war trocken. Gewöhnlich trinke ich, wenn ich abends arbeite, bereits gegen elf Uhr meinen Tee. Ich stand also auf und schwamm durch das Halbdunkel meiner Wohnung zur Küche hinüber.
    Dieser nächtliche Tee ist für mich eine Art Ritual, das mir für gewöhnlich die Gelegenheit gibt, für zwanzig Minuten die Geheimnisse des Innenlebens einer Waschmaschine oder die möglichen Vertragsstrafen bei Nichtlieferung von Hühnerbeinen zu vergessen.
    Das Teewasser koche ich stets auf dem Gasherd. Mein Kessel passt genau zu dieser Wohnung: Auch er ist alt und unglaublich anheimelnd - rot mit weißen Tupfern emailliert, mit breiter Tülle, auf die man vor dem Erhitzen eine glänzende Pfeife setzt. Wenn ich ihn von der Platte nehme oder den Deckel öffne, verwende ich dazu immer einen gesteppten, wiederum roten Küchenhandschuh. Die Teeblätter hole ich stets mit einem kleinen Löffel, dessen Griff spiralförmig gewunden ist, aus der Packung und gebe sie zum
Aufbrühen in die kleine, dunkelblaue, handgearbeitete Porzellankanne, die mir schon vor langer Zeit jemand aus Taschkent mitgebracht hat.
    Zwei Löffel fein gebrochene Teeblätter in die gespülte und trockengewischte Kanne, mit heißem Wasser übergießen, den Deckel schließen und fünf Minuten geduldig warten. Unter dem Deckel und aus der Tülle steigt verlockender, aromatischer Dampf, doch keine Hast: Der Tee muss noch ziehen.
    Normalerweise vertreibe ich mir die Zeit, indem ich in den Zeitungen blättere, die ich tagsüber erworben habe. In dieser Nacht jedoch kam es anders. Wie gewohnt schlug ich die Iswestija auf und begann mechanisch einen der Artikel zu lesen, aber die winzigen Zeitungsbuchstaben entglitten meinem Blick, und er verlor sich zwischen den Zeilen. Vergeblich versuchte ich mich zu konzentrieren, doch blieb mir der Sinn der Nachricht verborgen hinter den geisterhaft verschlungenen Zweigen und Lianen jener »Selva«, durch die sich die Herren de Aguilar und de Balboa sowie jener namenlose Erzähler schlugen. Nach einigen Augenblicken ertappte ich mich dabei, dass ich wie versteinert auf ein Foto starrte, das einen Artikel über einen riesigen Tsunami in Südostasien illustrierte. Ohne besonderes Interesse überflog ich den Text und legte die Zeitung wieder zusammen.
    Viel mehr beschäftigte mich die Frage, warum der Besitzer dieses seltsamen Fragments sich an eine ganz normale Übersetzungsagentur gewandt hatte. In all den Jahren, die ich für dieses Büro arbeitete, war mir noch nie ein derartiger Auftrag untergekommen. Soweit ich wusste, befassten sich mit solchen Büchern ganz andere Leute: Universitätsdozenten
zum Beispiel, die irgendwelche Geschichten aus Cortés’ Eroberungszügen bis ins kleinste Detail analysierten und daraus ihre Doktorarbeiten bastelten. Für gewöhnlich verlassen Schriftstücke dieser Art kaum jemals die Magazine wissenschaftlicher Bibliotheken, wo sie hinter Glas in einem besonderen Mikroklima aufbewahrt werden. Natürlich ist anzunehmen, dass einige davon in den Lagern privater Antiquariate untergehen, bis sie irgendwann einmal einem

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