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Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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Mitteilungen seiner treuen Gefolgsleute zufolge, einige Wochenreisen südwestlich von Maní.
    Dass Fray de Landa mich dorthin sandte, und die Señores Vasco de Aguilar und Gerónimo Núñez de Balboa mit mir, und mit uns Fray Joaquín. Dass er, da die Gegend dort noch nicht erkundet war, uns jene treuen Gefolgsleute zur Seite stellte, die ihm von den Tempeln im Südwesten berichtet hatten.
    Dass unsere Abteilung Maní am vereinbarten Tage verließ, dem 3. April im Jahre 1562 nach Christi Geburt, ohne zu wissen, welches Schicksal sie erwartete, und ohne zu ahnen, wie wenige dieser fünfzig Mann lebend wieder zurückkehren würden.«
     
    Ich riss mich von den Blättern los und legte den Bleistift in mein Wörterbuch. Im schwarzen Spiegel des Fensters erblickte ich mein Gesicht: die zerzausten Haare (auf der Suche nach den richtigen Worten war ich ständig mit den Fingern hindurchgefahren), die weiche und wenig markante Nase, die runden Backen, das gut sichtbare Doppelkinn. Seit meinem dreißigsten Geburtstag hatte ich mir immer
wieder heilige Eide geschworen, mein Äußeres nicht zu vernachlässigen. Doch ab diesem Alter wird es deutlich schwerer, das Gewicht zu halten. Der Körper folgt einem eingebauten Programm, dessen Ziele keineswegs mit deinen übereinstimmen, und jeder Krümel, den du verzehrst, droht sich in deinen rasant zunehmenden Fettpolstern abzulagern, wohl als Vorrat für künftige schwarze Tage. Überhaupt, seit der Scheidung ließ ich mich viel zu sehr gehen.
    Meine Gesichtszüge hätte ich am liebsten mit jemand anderem getauscht, so sehr waren sie mir zuwider. Nach fünfunddreißig Jahren gibt dir dein Gesicht bereits erste Hinweise, wie es im Alter aussehen wird: Geheimratsecken deuten die künftige Glatze an; Falten glätten sich nicht mehr, wenn deine finstere Miene einem friedlichen Ausdruck oder Lächeln weicht; die Haut wird rau und lässt immer weniger Röte hindurch. Ab fünfunddreißig beginnt sich dein eigenes Gesicht in ein Memento mori zu verwandeln, eine Erinnerung an den Tod, die dich stets begleitet.
     
    Was mich angeht, so habe ich mein Gesicht ständig vor Augen: Mein Schreibtisch steht direkt am Fenster, hinter dem es, wenn ich mich an die Arbeit mache, meist schon dunkel ist. Frisch geputzt, reflektiert das Glas wie die Oberfläche eines dunklen Waldteichs, der sämtliche Konturen wiedergibt, dafür aber die Farben schluckt. Dann scheint es mir, dass sich meine Gesichtszüge, von der nahen Tischlampe gut ausgeleuchtet, ebenso wie die verschwommeneren Linien der Möbelstücke, der Stuckdecke und des schweren Bronzelüsters geradewegs in der dichten Nachtluft spiegeln. Wer weiß, vielleicht existieren sie ja wirklich dort,
vor dem Fenster - umso heller und deutlicher, je mehr Licht in meinem Zimmer brennt.
    Außer der Tischlampe brennt noch das Licht in der Küche, und auch diese Lichtquelle lösche ich erst, wenn die fahle Morgensonne hereinkommt. Mein Vorgehen dient jedoch nur vordergründig der Gemütlichkeit - ich könnte in dieser Wohnung gar nicht anders leben.
    Meine Wohnung ist weitläufig und alt, mit hohen Decken (zum Auswechseln durchgebrannter Glühbirnen brauche ich eine Leiter), eingerichtet mit antiken, rissigen Möbeln aus karelischer Birke, die sich für kein Geld der Welt reparieren lassen. Ich bringe es aber nicht übers Herz, sie zu verkaufen, denn die Wohnung habe ich von meiner Großmutter geerbt. Als ich noch klein war, war ich sehr oft bei ihr zu Besuch, und als sie starb und mir ihre Wohnung hinterließ, kehrte ich gleichsam in meine eigene Kindheit zurück.
    Wenn ich früher bei meiner Großmutter übernachtete - damals war sie noch gesund -, ließ mich das Gefühl nicht los, dass ihr Haus atmete. Und selbst wenn sie ausgegangen war, glaubte ich zu hören, wie ihre Gedanken in irgendwelchen Ecken vor sich hin flüsterten und das Echo ihrer Schritte durch den Flur raschelte. Heute kommt es mir eher so vor, dass die Wohnung ihr eigenes Leben führt. Die Fenster sind auf verschiedenen Seiten, weshalb es im Flur oft zieht und offen stehende Türen nachts plötzlich zufallen. Manchmal fängt auch das über hundert Jahre alte Parkett auf einmal an zu knarzen, als ob jemand darüberginge. Natürlich könnte ich das Parkett mit einem Spezialmittel bearbeiten und endlich neue Fenster mit Isolierverglasung
einsetzen. Sicherlich würden dann all die Gespenster augenblicklich verschwinden. Aber mir gefällt die Wohnung gerade so, wie sie ist … voller Leben.
    Bevor

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